aus Chr. Wulf (Hrsg.), in Paragrana, 2022
Weltverhalten
Pandemien fangen klein an
Mit einer einzigen Infektion. Ein Übersprung Krankheiten erregender Mikroorganismen von einem Tier auf einen Menschen kann eine Pandemie auslösen, die alles Gewohnte außer Kraft setzt und weltweit eine Krise mit Kranken und Toten auslöst. Solche Übersprünge sind selten, denn Erreger und menschliche Wirtszellen müssen auf molekularer Ebene zusammenpassen.
Wir leben in einer Zeit weltweiter Vernetzung. Internationale Kooperationen wie global operierende Produktions- und Handelsorganisationen, wie WHO, FIFA, UNESCO, UNO und WWF, wie Massentourismus, internationale Wissenschaftskongresse und digitale kommerzielle Medien wie Google und Facebook sind das Resultat langer und verwickelter Prozesse des modernen Menschheitsmanagements.
Ohne diese weltweite Vernetzung gäbe es keine Pandemien. Die Parallele verrät nicht unmittelbar die Logik zwischen beiden Faktoren, doch die Schattenseiten dieser globalen Kooperationen haben ebenso weltweite Ausmaße, denn die Menschheit befindet sich in einer dramatischen Weltlage: Leben und Gesundheit vieler Menschen, Tiere und Pflanzen sind bedroht. Eine Pandemie betrifft alle Menschen, weshalb sie die Weltlage entweder gemeinsam meistern oder das Projekt Anthropos bleibt gefährdet.
Biotope
Auch Leben fängt klein an. Im Wasser mit einer einzigen Zelle. Den Beginn markiert vor vier Milliarden Jahren ein Cyanobakterium. Es besitzt noch keinen Zellkern, kann sich aber ernähren und vermehren. Es entwickelte die Photosynthese, um aus Sonnenlicht seine Energie zu gewinnen und gibt dabei Sauerstoff in die Atmosphäre ab. Immer noch produziert diese Bakterienart den größten Teil des Sauerstoffs im planetarischen Raum. Das Entstehen der ersten Zellen aus anorganischen Substanzen dauerte Jahrmilliarden. Ebenso lange brauchten die Zellen, um sich zu Zweizellern zusammenschließen zu können. Doch nach ersten Erfolgen ging es mit der Bildung mehrzelliger Lebewesen rasch voran. Aus einer Zelle oder nur wenigen Zellen haben sich alle Abermillionen Arten von Lebewesen entwickelt.
Zellen schließen sich zu immer komplexeren Zellsystemen wie Pflanzen und Tiere zusammen. Zum Nutzen eines funktionierenden Ganzen, des Organismus, koordinieren sie ihre Aufgaben durch einen unablässigen Austausch mit anderen Zellen, so dass sich Leben und Überleben auf Zellebene abspielen (vgl. Rigutti 2008, S. 46).
Schon Einzeller kooperieren oder bekämpfen sich. Zur Erhaltung und Entwicklung ihres Lebens holen sie andere Zellen und Zellelemente in sich herein. Dieses gerichtete Suchen stattet sie aus mit einem praktischen Erkenntnissinn: Eine Amöbe kann eine andere Amöbe als Beute erkennen und verfolgen, während die Verfolgte den Angriff erkennt und flieht.
Mikroorganismen wie Bakterien arbeiten in und auf Lebewesen. Sie wehren Gefahren ab und sind bei nahezu allen Körperfunktionen beteiligt. Menschen werden von mehr Bakterien unterstützt, als sie Zellen haben, und von hundertmal mehr Viren. Allerdings können Bakterien, Pilze und Viren Lebewesen auch schädigen und zerstören.
Leben findet statt in Raum und Zeit. Bevor das Leben auf festem Boden, im Schwerefeld und in sauerstoffreicher Atmosphäre beginnen konnte, mussten Lebensräume geschaffen werden. Das leisteten Bodenorganismen, die die obere Bodenschicht zerkleinert, porös und durchlässig gemacht und mit Mineralien und Wasser versorgt haben. Das waren Räume und Nahrung für Lebewesen, die sich aus dem Wasser heraus aufs Land begeben würden. Jede Spezies hat ihre spezifischen Eigenschaften und braucht eine eigene, ihr angemessene Umgebung – das Biotop. Ein Ökosystem, bei dem kleinste Eingriffe alles ändern.
Da die Erde ein Biotop aller Menschen, die oberste Erdschicht ein Biotop für unendlich viele Kleinstlebewesen und der Mensch ein Biotop für Mikroorganismen ist, sind epidemische und pandemische Infektionserkrankungen (Seuchen) verankert in der Ökologie des Planeten Erde. Dringt ein Mensch in ein ihm unbekanntes Biotop wie den Urwald ein, können Mikroorganismen in ihn eindringen, ohne dass sein Immunsystem sie abwehren kann. Er kann infiziert werden und eine Epidemie oder Pandemie auslösen.
Anthroponosen und Zoonosen
Zoonosen sind Infektionserkrankungen, bei denen Mikroorganismen von einem Tier auf einen Menschen übergehen und ihn infizieren. Der Infizierte kann dann weitere Menschen anstecken. Infektionserkrankungen einzelner weiten sich aus, wenn Menschen in großer Zahl beginnen, in enger Gemeinschaft mit Tieren zu leben, denn Zoonosen sind das Bindeglied zwischen Bodenbearbeitung durch den Menschen und Infektionskrankheiten, ausgelöst durch Mikroorganismen.
Anthroponosen sind Infektionserkrankungen, bei denen Mikroorganismen nur von einem Menschen auf andere Menschen übergehen, wie bei Pocken, Lepra, Cholera oder Typhus. Infektionserkrankungen stammen heute zu Zweidritteln von Tieren, die Erreger auf den Menschen übertragen.
Für weiträumige Infektionsausbrüche spielen Viren heute eine entscheidende Rolle. Sie bestehen aus einer Hülle, dem Kapsid, die die Erbinformation enthält und schützt, und oft zusätzlich aus einer Fettschicht mit abstehenden Proteinen – den Spikes. Zellen weisen Rezeptoren auf. Gelangen Viren in einen Organismus, suchen ihre Spikes nach geeigneten Rezeptorproteinen. Erst wenn Spikeprotein (Schlüssel) und Rezeptorprotein (Schloss) zusammenpassen, findet ein Anheften statt und die Zelle öffnet sich dem Virus. Daher sind Viren auf bestimmte Wirte festgelegt.
Der Übersprung von Viren, etwa von Nagetieren auf den Menschen, erfolgt durch Mutation. Eine Virenart muss sich in einem Zwischenwirt aufhalten, muss mutieren, sich im Zwischenwirt vermehren und der infizierte Zwischenwirt muss dann mit einem Menschen in Kontakt kommen. Dem Auffinden dieses ersten Infizierten – dem Index- oder Nullpatienten – wird viel Zeit gewidmet, da sich aus den Daten seiner Infektion wertvolle Schlüsse ziehen lassen: Erkenntnisse über Infektionsketten, Übertragungswege, Ansteckungsgefahren oder Sterberaten.
Influenza-, Ebola- oder Coronaviren stammen von Wildvögeln ab, die mit den Viren leben. Da Vögel und Fledertiere für ihre Fortbewegungsart, den Flug, viel Energie verbrauchen, bilden sich in dem intensiven Stoffwechsel viele freie Radikale, die sie im Laufe der Evolution kontrollieren mussten und haben daher ein starkes Immunsystem ausgebildet und können mit aggressivsten Viren in Symbiose leben. Zwischen dem Immunsystem der Flugtiere und der Evolution der Infektionserreger „gibt es ein Wettrüsten“ (Hassett, S. 70), was die Viren immer robuster gemacht hat, die daher für andere Lebewesen gefährlich sind. Dringen unbekannte Viren ein, schüttet das Immunsystem den Botenstoff Interferon-Alpha aus – der die Zellen schützt –, aber keine entzündungsfördernden Proteine. Von den Flugtieren gehen Viren nicht direkt auf den Menschen über, sondern über Zwischenwirte wie Mücken, Hühner oder Nagetiere.
Verdinglichung des Bodens – Sesshaftwerdung
Der Homo steht auf dem Humus. Er heißt so, weil er irdisch ist, auf der Erde, dem Humus steht. Humus ist die Basis der aufrechten Haltung des Homo. Der Grund seiner Füße und seines Agierens. Mit dem Stören dieses Grundes stört er seine eigene Aufrichtung.
Humus heißt Erde und Erdboden, meint aber die obere, fruchtbar-organische Schicht. Humus ist die notwendige Ernährungsgrundlage des Menschen. Die Basis für alles Leben auf und im Erdboden. Humus besteht aus abgestorbenen pflanzlichen und tierischen Substanzen, die unablässig von Mikroorganismen und Kleinstlebewesen in ihre molekularen Bestandteile zerlegt und von Würmern und Insekten durchlässig gemacht werden. Der Humus schafft eine stabile Bodenstruktur, speichert Wasser und Wärme, hält Nährstoffe für Pflanzen bereit, filtert das Grundwasser, fördert Bodenlebewesen und bindet Treibhausgase wie Wasser, Kohlendioxyd und Methan.
Für Jäger und Sammler war es Tabu, in diese Vorgänge einzugreifen und die Erde zu verletzen. Angepasst an das permanente Unterwegssein unter freiem Himmel nahmen sie, was die Natur hergab. Bis die Idee entstand, an einem Ort zu bleiben: sesshaft zu werden und sich auf einen begrenzten Ort zu konzentrieren, der alles für ein ortsgebundenes Leben bereithielt. Die ersten Menschen hielten vor etwa zwölftausend Jahren an. Ein komplexer biologischer und sozialer, architektonischer, geistiger und ökologischer Vorgang, dem eine Revolutionierung der Lebensweise folgte. Die Idee des Anhaltens implizierte die Vorstellung von einem Haus, in dem sich unabhängig von Jahreszeiten leben lässt und sich Lebensmittel über den Winter lagern lassen. Der Beginn des Bauens, die zeitliche Struktur des neuen Tuns sowie die Meisterung der sozialen Nähe greifen das mythische Weltbild an und weisen hin auf ein rationaleres Weltverhalten.
Die ersten Sesshaften waren Bauern, erste Kulturschaffende im großen Maßstab. Denn sie kultivierten den Boden, machten ihn urbar (lat. culturare). Für Jäger und Sammler gute Bedingungen für ein riskantes Unternehmen, wie das Bleiben an einem Ort, bot die Region des Fruchtbaren Halbmonds mit mildem Klima und ausreichend zähmbaren Tieren wie Schafen und Ziegen, und Pflanzen wie Getreide, Erbsen und Oliven.
Sesshafte waren die ersten, die es wagten, den Boden zu öffnen. Das Öffnen lässt den Boden enorm fruchtbar erscheinen, weil eine Menge Lebensmittel auf einer kleinen Fläche entstanden. Die obere Bodenschicht büßt jedoch durch Roden und Versiegeln für Haus und Wege seine unmittelbare Fruchtbarkeit ein. Und weil durch Schaufeln und Stöcke dem Boden Masse entnommen und zu Dingen umgeformt wird – den ersten Produkten, Produkt bedeutet heraus-führen (pro-ducere) – wird der Boden verdinglicht.
Sesshafte leben auf engem Raum miteinander und mit Tieren zusammen. In der Konzentration ihres Lebens auf die begrenzte Fläche von Haus und Hof setzen sie dem weiten und rätselhaften Weltall ein überschaubares und Orientierung gebendes, ein humanes Weltall entgegen. Da die Enge des Zusammenlebens seit der Sesshaftwerdung den Mikroben das erste Mal die Möglichkeit bot, neben Tieren auch Menschen in großer Zahl zu infizieren, gilt die Sesshaftwerdung als epidemiologischer Übergang (Hassett, S. 195), denn nun wurden Epidemien möglich.
Mit dem Niederlassen an einem Ort besetzten Sesshafte das erste Mal Erdboden und es entstanden Besitz, Herrschaft und Macht. Von hier aus dehnten sie ihren Hausbereich zu größeren Ansiedlungen und großflächigen Regionen. Die Produktivität nahm zu, immer mehr Jäger und Sammler wurden sesshaft, die Bevölkerung wuchs und neue Berufe wie Handwerker und Händler entstanden, die sich vom Landleben räumlich und ideologisch abwandten und Städte gründeten, die sie durch Handelswege verbanden. Das war ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Begünstigung von Ausbrüchen von Epidemien. „Epidemien gibt es nicht ohne große anfällige Populationen; das macht sie zu urbanen Krankheiten“ (Hassett, S. 214).
Weit verbundene Regionen und große Reiche zerfielen immer wieder, bis mit dem Römischen Reich die erste stabile Infrastruktur entstand, die bis heute besteht.
Epidemien und Pandemien
Epidemien sind regional begrenzte Ausbreitungen von Infektionserkrankungen. Sie mögen eine Stadt, ein Land oder einen Kontinent betreffen. Ein Ausbruch beginnt immer mit einer einzigen Infektion. Um aber aus einer einzigen Infektion eine Seuche zu machen (Hassett, S. 214), bedarf es einer mühelosen Übertragung. Dazu müssen Erreger auf eine anfällige und große, etwa urbane Population treffen, auf gut miteinander verbundene Menschen.
Das Eindringen von Erregern in einen Organismus und ihre Vermehrung ist eine Infektion. Die Abwehrreaktion des Immunsystems darauf ist eine Entzündung, mit der sich Symptome einer Krankheit wie Fieber, Rötung und Anschwellen der Körperregion einstellen, weil die Konzentration von Lymphozyten am Infektionsherd zunimmt und sich Antikörper bilden. Die Erkrankung dient der Sicherung der Integrität des Organismus.
Bei Tieren ereignen sich nur Epidemien, keine Pandemien, da bei ihnen zum Schutz der Menschen die Seuchenbekämpfung rigoros ist: Stallpflicht, Beseitigung der Tierprodukte, Absonderung und notfalls Massentötung infizierter und infektionsgefährdeter Tiere.
Pandemien sind weltweite Ausbreitungen von Infektionserkrankungen. Sie betreffen die gesamte Menschheit. Möglich werden sie erst mit der fortgeschrittenen Globalisierung, weil den Erregern nur dann eine ausreichend hohe Zahl infizierbarer Menschen zur mühelosen und raschen Ausbreitung zur Verfügung steht. Die früheste Pandemie gibt es deshalb erst 1890 mit einem Influenzaausbruch.
Dass Pandemien klein anfangen, weist darauf hin, dass eine abklingende Pandemie jederzeit durch die Infektion eines einzigen Menschen mit einem mutierten Virus wieder von vorne beginnen kann, etwa weil Mutanten gegen Impfstoffe resistent sind.
Gründe für Pandemien – Pandemiefaktoren – liegen im Verhalten der Menschheit: Menschen begeben sich dorthin, wo sich Erreger aufhalten, sie bieten Erregern raschen Transport und selbst sind sie durch Krisen geschwächt. Faktoren sind Kriege, Armut und Mangelernährung, Umweltschäden, Migration und globale Mobilität, der sorglose Umgang mit Wildtieren sowie der weltweite Handel.
Pandemien wurden bisher einzig durch Viren verursacht. Und da sie mit ihrer hohen Mutationsrate sehr anpassungsfähig sind, und für Bakterien, Gifte und Pilze Impfstoffe und Medikamente entwickelt und Standards für Hygiene und Ernährung verbessert wurden, geht die Gefahr für Pandemien weiterhin von Viren aus. Überraschenderweise zeigt sich bei der SARS-CoV-2-Pandemie, dass die Menschheit auf eine solche Krise nicht vorbereitet ist, obwohl Experten gewarnt haben, dass heftige Pandemien ausbrechen würden. Da niemand die Warnungen hörte, wurden keine Maßnahmen zur Abwendung einer kommenden Krise ergriffen.
Die Bewältigung einer Pandemie fordert geeignete Maßnahmen: rasches, umsichtiges und konsequentes Handeln lokal und weltweit. Aufgrund konkurrierender Parteien und Institutionen sowie einer mangelnden Bereitschaft eines Teils der Bevölkerung, selbst einfache Maßnahmen zu befolgen, fehlt in Demokratien oft der konsequente Zugriff auf das Geschehen einer beginnenden Pandemie, während auf globaler Ebene kulturelle und ökonomische Differenzen der Kulturen das Entwickeln gemeinsamer Strategien erschweren.
Gefährliche Mikroorganismen – Pocken, Pest und Cholera
Mikroorganismen durchdringen alles Sein und erfüllen unglaublich viele Aufgaben. Viren befinden sich im Wasser, bis viele Kilometer tief in der Erde und in der Atmosphäre. Sie schaffen Bedingungen für Leben oder halten mannigfache Funktionen des Lebens aufrecht. Sie bauen auf, reparieren und zersetzen. Luftmassen und Wind verbreiten Mikroorganismen über die gesamte Erde, die Krankheit und Tod bringen können.
Epidemische und pandemische Infektionserkrankungen werden durch Luft, Wasser, Tiere und Menschen auf Menschen übertragen. Mikroben infizieren Menschenkörper, die den Gesellschaftskörper angreifen. Es ist, als hätten sich infektiöse Mikroorganismen den menschlichen Körper untereinander aufgeteilt, da jede spezifische Mikrobe nur besondere Lebewesen und bei diesen nur spezifische Körperregionen infizieren kann. Fast alle Infektionskrankheiten verlaufen milder oder verschwinden durch die Verbesserung von Hygiene und Ernährung.
Vor 5500 Jahren herrschte von Spanien bis zum Baikalsee die Pest, nicht identifizierte Seuchen gab es im Ägypten des 14. Jahrhunderts v.Chr., von 430 bis 426 v.Chr. in Athen und von 165 bis 180 n.Chr. im Römischen Reich. Von 541 bis 770 n.Chr. herrschte im gesamten Mittelmeerraum die Justinianische Pest.
Die Pest hatte ihren Höhepunkt im Mittelalter. Das Bakterium Yersinia pestis wurde entlang der Handelswege von Asien nach Europa transportiert, dem zwischen 1346 und 1351 ein Drittel der europäischen Bevölkerung erlag. Flöhe übertrugen das Bakterium auf Menschen. Die Bakterien greifen Lymphknoten und das Immunsystem an. Pocken hatte im 18. Jahrhundert nahezu jeder. Das hochinfektiöse Orthopox-Virus variolae wird nur zwischen Menschen übertragen und zielt auf die Haut, die ganz übersät sein kann mit Eiterbläschen und ihren Verkrustungen. Ein Drittel der Erkrankten starb, die anderen blieben meist durch Narben gezeichnet. Mozart, Schiller und Goethe, Friedrich I., Maria Theresia und Graf Mirabeau litten an Pocken. Nach einer weltweiten Impfpflicht erklärte die WHO 1980 die Welt für pockenfrei. Pockenviren gibt es noch in Forschungslabors in den USA und in Russland. Im 19. Jahrhundert grassierte die Cholera. Die Industrialisierung führte zu einem raschen Städtewachstum und in der Folge zu Armut, beengten und unhygienischen Wohnverhältnissen mit unsauberem Trinkwasser – eine Hauptursache der Cholera. Große Armut führt zu Mangelernährung, schwächt das Immunsystem und Infektionen haben schwerwiegende Wirkungen. Erst wo durch Kanalisationssysteme Trink- und Abwasser getrennt wurden, konnte die Cholera zurückgedrängt werden. Das Bakterium Vibrio cholerae findet seinen Wirt in Darmzellen des Menschen und als Folge von Durchfall tritt eine Dehydrierung ein. Die Zeit für Influenza-Viren ist das 20. und 21., für Corona-Viren das 21. Jahrhundert. Beide zielen auf die Organe des Atems, Corona-Viren auch auf weitere Bereiche des Körpers. Sie lösen die ersten Epidemien und Pandemien des 21. Jahrhunderts aus.
Die Verdinglichung der Erde – Industrialisierung
Bevor Menschen Dinge herstellen, müssen sie formlose Masse aus dem Erdboden herausheben oder Holz schlagen. Dieses Formlose ist das allgemeinste Ding. Unbestimmt und bloßes Potenzial. Indem es herausgehoben und dann zu einem Konkreten geformt wird, entsteht das feste, konkrete Ding. Ein wahrnehmbares Gegenständiges. So tritt in der Zeit der Sesshaftwerdung etwas – das Ding – aus der geöffneten Erde hervor.
Seit Beginn der Herstellung von Dingen hat der Boden eine lange Geschichte der Kultivierung erfahren. Immer geht es um das Aufreißen der Erdkruste. Für Lebensmittel wird fruchtbarer Boden geritzt, gesät und gewässert, gedüngt und von störenden Pflanzen und Lebewesen befreit, für Gebäude und Wege wird er gerodet und versiegelt, für die Weidewirtschaft wird Wald in Weideland umgewandelt und für Holz werden Wälder geschlagen.
Der Prozess der Zivilisierung hat aus der Erde ein Vorratslager gemacht. Wurde erst die obere Bodenschicht verdinglicht, ist es nun die gesamte Erde, die zum Ding und Objekt wird. In der in Jahrmilliarden entstandenen Lebensgrundlage – der Erde – sehen Menschen spätestens seit der Industrialisierung ein Objekt, das ihnen Material zur Herstellung von Maschinen, Gebäuden, Infrastruktur und Gebrauchsgütern liefert. Indem sich die Menschen als Produzenten und Kunden verhalten, wirkt die Logik des Marktes auf ihre Lebensführung zurück, ob in der Arbeit, der Bildung, im Spiel oder in der Politik. Daher kann ohne Gewissensbisse der Boden durch Überdüngung vergiftet und durch Monokulturen ausgelaugt, für die Urbanisierung und die Besiedlung gerodet und in gewaltigen Flächen versiegelt werden. Je größer der Tierbestand in der industriellen Massentierhaltung, in der ebenfalls störend in den Boden eingegriffen wird, desto besser können sich Viren ungebremst ausbreiten. Die drängende Konkurrenz in der Massenproduktion führt dazu, dass weltweit enorme Mengen an Dinglichem als Rest übrigbleiben (Überproduktion). So wird ein großer Teil nicht nur nutzlos der Erde entnommen, sondern es entstehen große Mengen an Abfall. Er kann nur teilweise recycelt werden. Vorwiegend wird er verbrannt, ins Meer gekippt, unter der Erde gelagert oder zu Deponien aufgehäuft oder lagert sich wie Plastik in Lebewesen ein. Radioaktive Stoffe werden Jahrtausende lang gefährlich bleiben.
Das Konkurrieren und das profitable und effiziente Arbeiten sowie die Gleichgültigkeit gegenüber der Zerstörung der eigenen Lebensgrundlage weisen hin auf ein Weltverhalten, dem es gleichermaßen an Rücksicht und Vorsicht mangelt.
Umweltzerstörung, Klimawandel und Pandemie hängen unmittelbar zusammen. Unablässig dringen Menschen in unberührte Lebensräume von Wildtieren vor. Sie stöbern sie in ihren Ökosystemen auf, um Plantagen anzulegen und Massentierhaltung zu betreiben. Suchen dann die im Boden lebenden Erreger, die normalerweise in geschlossenen Ökosystemen leben, neue Biotope, können sie auf Menschen und ihre Nutztiere treffen, auf diese überspringen und Infektionskrankheiten auslösen. Wie es auch auf Wet markets geschieht, wo Wildtiere eng zusammengepfercht zum Verkauf angeboten werden und wo sich ihre unterschiedlichen Erreger austauschen können. Auch die im Boden lebenden Arten werden dezimiert und die eng miteinander verzahnten Ökosysteme verlieren ihre Biodiversität, denn mit den Kleinstlebewesen verschwinden auch Vögel, Insekten und Säugetiere. In Teilen Chinas gibt es keine Bienen mehr und Handbestäubung wird erforderlich, wie es sie schon in „Pakistan, Japan, Argentinien, Chile, Neuseeland und Italien“ (Settele, S. 138f) gibt.
Industrie, Energie- und Landwirtschaft, Verkehr und Gebäude, Entwaldung, Verbrennen fossiler Stoffe und das Zerstören ökologischer Räume emittiert Treibhausgase, die die Erde erwärmen, wodurch sich Flora und Fauna geografisch verschieben: Wildvögel fliegen zur Brut weiter als bisher nach Norden und können dort Lebewesen mit neuen Krankheitserregern infizieren, milde Winter machen die gefährliche asiatische Tigermücke in Europa heimisch, die das Dengue- und Zika-Fieber überträgt und sich in der Mitte Europas ebenso fest etabliert hat, wie Nutrias mit ihren vielen unbekannten Erregern.
Pandemie und Globalität
Aus dem glühenden Feuerball Erde hat sich in einer langen Zeit und unermesslichen Differenzierung seiner Elemente aus der anorganischen Verfassung ein lebendiges Ganzes entwickelt. Die Erde hat Leben hervorgebracht wie Pflanzen und Tiere. Aber auch das eigenartige Wesen Mensch, das Geist, Technik und Kultur entwickelt.
Menschen haben Verstand und geschickte Hände, ein smartes Gehirn und Kommunikationsfreude, Intelligenz, ein gutes Gedächtnis und Selbstbewusstsein. Sie sind neugierig und erweitern stetig Wissen und Fertigkeiten, die sie mit den Werten der Gemeinschaft an nachfolgende Generationen weitergeben, die nun auf erhöhtem Niveau starten und Werte, Wissen und Fertigkeiten durch Lernen und neue Erfahrungen weiterentwickeln, auf dem dann folgende Generationen aufbauen, und so fort. In diesem ursprünglichen Zusammenwirken von Bildung (Werte) und Ausbildung (Wissen und Fertigkeiten) erweisen sich Menschen von Anbeginn als sich bildende und globalisierende Wesen.
Auf einem sich ständig steigernden Niveau von Wissen und Können entstanden der Verwaltungsstaat Rom, christliche Klöster, die gewaltige Wirtschaftszentren wurden, und die Industrie, in der die Fäden von Produktion und Handel, von Wissenschaft und Ausbildung zusammenliefen und eine gewaltige Produktivkraft schufen, die durch die Digitalisierung, die Genetik und die Schaffung Künstlicher Intelligenz noch gesteigert wurde. Die Prozesse erscheinen als ständige Verbesserung und Optimierung, doch bisher ist es den Menschen nicht gelungen, ihre Arbeit als nachhaltige Kreislaufwirtschaft einzurichten.
In diesem Prozess versuchen die Kulturen der Welt, sich zu einer Weltgemeinschaft zusammenzubinden, deren Endpunkt die Globalität bildet.
Die ungeheure Produktivität, die enorme Weltbevölkerung und der gewaltige Anstieg des Weltenergieverbrauchs haben die Erde in einen Zustand verwandelt, der immer wieder Überschwemmungen, Wetterkatastrophen, Dürren und Waldbrände verursacht und Pandemien hervorruft. Die weltumspannenden Wege transportieren gleichermaßen Menschen, Waren und Mikroben. Es ist dieser internationale Austausch und seine rasante Geschwindigkeit, durch die Viren und ihre Mutanten in kürzester Zeit um die Erde reisen. Daher können Pandemien durch unentschlossenes Handeln lange andauern. Bis zum 19. Jahrhundert konnten Jahre und Jahrzehnte vergehen, bis eine Epidemie einen anderen Kontinent erreichte. Heute sind Flugzeuge, die Massen Reiselustiger und Containerschiffe Beförderer von Pandemien.
Obwohl die Globalisierung ein anthropologisches Merkmal ist, sind die Schattenseiten des gegenwärtigen Weltzustandes unübersehbar, doch die Gründe dafür liegen nicht in der Globalisierung selbst, sondern in einem besonderen Weltverhältnis der Menschen: Wie die Dominanz ihrer Technik über das Leben, der Ratio über das Empfinden oder der Markt über die Politik; wie das Unvermögen der Menschen, Größe und Ausmaß der Nebenwirkungen ihres Handelns abzuschätzen, weil die Sinne nicht weit genug reichen, um die Gefahren im Maßstab des Globalen wahrzunehmen; wie die Ökonomisierung aller Lebensbereiche, die auch Denken, Fühlen und Handeln prägt und Menschen veranlasst, die Verantwortung für den Planeten abzugeben. Wenn aber eine Pandemie oder der Klimawandel alle Menschen erfasst, ist auch zu ihrer Überwindung die Kooperation aller erforderlich.
Anthropozän – die Menschheit wird anthropogene Naturkraft
Die Industrienationen haben ihre Bodenflächen in Agrarland, Weideland, Wälder sowie in Siedlungsland aufgeteilt und in eine durch Technik dominierte Welt verwandelt. Die Projekte wurden immer außerordentlicher – größer wie kleiner –, bis heute die Erdfläche pro Quadratmeter 50 Kilogramm Technik trägt. Gegen solche Aktivitäten gelingt es immer wieder winzigen Partikeln, den Menschen die Hände zu binden und die Vorgänge in der Gesellschaft vorübergehend zu entschleunigen.
Seit zwei Jahrhunderten greifen Menschen störend und zerstörend in geologische, biologische, atmosphärische und ozeanische Prozesse ein, so dass Schäden bleiben werden, weshalb auf einem Geologen-Kongress im Jahr 2016 ein neues geologisches Erdzeitalter vorgeschlagen wurde – das Anthropozän –, benannt nach den Wirkungen der Menschen auf die Erde und den planetarischen Raum, die noch in hunderttausend Jahren im Boden und im Eis, in Stein und in der Luft Spuren hinterlassen würden. Kritisch wird vorgeschlagen, es Okzidentalozän zu nennen, da es sich um vom Westen erzeugte Phänomene handele. Lateinisch oc-cidere heißt untergehen und verschwinden. Europäer hätten das Know-how der Sesshaften über einen großen Teil der Erde verbreitet und bei dieser Welteroberung Menschen, Länder und Ressourcen ausgebeutet.
Das moderne Wirtschaften mit seinem beständigen Wachstum und seinen globalen Strömen von Waren, Mikroben und Menschen erzeugt gravierende negative Wirkungen: Ressourcenverschwendung, krankmachende Arbeitsbedingungen, Verkehrstote, Kinderarbeit, Produktionsauslagerung und Förderung von Pandemien. Sichtbar bleiben werden davon Bodenversiegelungen, vergiftete Böden, Müllberge, Plastikabfall in den Meeren, eine halbe Million Tonnen hochradioaktiven Mülls und andere nicht abbaubare Materialien, Dürren und der Anstieg des Meeresspiegels, erhöhte Anteile von Stickstoff und Kohlenstoffisotopen in der Atmosphäre, unterirdische Kanal-, Kabel- und Rohrsysteme, der Klimawandel und das Aussterben unzähliger Arten (vgl. Falb, S. 8).
Die Menschen haben Poesie, Philosophie und kluge technische Produkte erfunden, doch es scheint, als gehöre das Zerstören der eigenen Lebensgrundlage dazu, weshalb die Verbesserung und Vervollkommnung des Lebens bisher ausblieben. Emotionen und Mitgefühl, Gelassenheit und Verantwortung sind keine respektablen Werte auf dem Markt, die gerade ein Korrektiv gegen die Zerstörungswut sein könnten.
Der lange Weg zur Verantwortung
Am Ende des Prozesses der Erd-Transformation vom Feuerball über die Entstehung und die Evolution des Lebens, zur Entstehung von Kultur und der Entfaltung von Technik, der Künstlichen Intelligenz und der Genetik hin zur Einsicht, dass die Menschen dabei sind, ihre Lebensgrundlage zu zerstören, taucht die Frage nach einer globalen Verantwortung auf. Ein Weiter-So darf es nicht geben, aber wie kommen die Menschen aus der Pandemie heraus und wie stellen sie sich auf den Klimawandel ein? Die Menschen müssen das Globale der Krise ins Bewusstsein heben und den Planeten Erde als ihre eigene Wohnung annehmen, die sie gemeinsam in verschiedenen kulturellen Formen bewohnen. Sie müssen toleranter und respektvoller werden, gewaltfreier kommunizieren und sich jenseits der offiziellen Politik um die öffentlichen Angelegenheiten kümmern. Diese neue Haltung zur Welt muss die Politik durch die Überwindung nationalstaatlicher Grenzen unterstützen und zivilgesellschaftliche Organisationen, internationale Institutionen wie NGOs, der WWF und die UNESCO müssen diese Haltung begleiten.
Heute kann jeder erkennen, dass er als Einzelner die Menschheit repräsentiert und er sich zugleich in der Menschheit spiegelt. In dieser Erkenntnis liegt seine pandemische Verantwortung, die zu einem entsprechenden Handeln auffordert, denn jeder einzelne greift Zukunft schaffend (verändernd) auch negativ in den Prozess des Weltgeschehens ein. Weltumspannende Krisen wie Pandemien sind für alle Menschen wahrnehmbar und bieten die Möglichkeit, die eigene Beteiligung an der Zerstörung zu erkennen. So entsteht in der Gleichzeitigkeit von Menschheitserfahrung und Selbsterfahrung eine Resonanz und mit ihr die Frage nach der eigenen Verantwortung. Es ist die Frage danach, was jeder Einzelne tun kann, um Pandemien zu vermeiden, und wie er zu einem nachhaltigen Leben aller beitragen kann.
Das Wagen von Selbsterkenntnis und das Übernehmen von Verantwortung sowie das achtsame und gewaltfreie Handeln weisen hin auf ein einfühlendes und zukunftsorientiertes Weltverhalten.
Was tun – Lassen für eine Zukunft ohne Pandemie
Pandemien vermeiden. Das ist möglich, weil Menschen sie verursacht haben. Eine Pandemie erfasst und bedroht alle Menschen und kann daher nur erfolgreich bekämpft werden, wenn alle mittun und mitlassen. Unter besonderen Bedingungen könnten Pandemien in Zukunft verschwinden oder Infektionsausbrüche begrenzt bleiben. Dabei wird das Tun oft ein Lassen sein. „Ein Nichtstun“ (Odell, S. 24), das ein Anderstun sein kann. Etwa Lassen vom vielen Konsumieren und vom wenigen selbstkritischen Reflektieren.
Verantwortung für die Zukunft übernehmen. Damit sind Biologen, Epidemiologen und Umweltforscher weltweit unterwegs. Sie versuchen, die ständigen Infektionsausbrüche einzudämmen. „Jedes Jahr werden Dutzende oder gar Hunderte Zoonosen registriert“, schreibt Josef Settele (S. 84). Und jede hat das Potenzial zur Pandemie. Solche international organisierten präventiven Nachforschungen sind Bemühungen, Pandemien im Keim zu ersticken.
Zoonosen können zu Anthroponosen werden. Auch darin liegt die Möglichkeit einer Welt ohne Pandemie. Vor etwa 10.000 Jahren scheinen Pockenviren von afrikanischen Nagetieren auf Menschen übergesprungen zu sein, bis Mutationen dafür gesorgt haben, dass sich nur noch Menschen infizierten (Hempel, S. 72). Als Anthroponosen ließen sie sich Pocken erfolgreich bekämpfen.
Keine Sündenböcke suchen. Seit je her werden Krisen von Misstrauen und Erzählungen und Mythen begleitet. Der Ausrufung einer Epidemie folgten Verschwörungsideen. Gegenwärtig leugnen Verschwörungserzähler das Corona-Virus oder halten es für ungefährlich. Experten, Persönlichkeiten und Politiker würden ein Masken-Regime, eine Impfpflicht oder eine Pandemie-Diktatur vorbereiten. Als im Athen des Perikles eine Seuche ausbrach, hieß es, die Spartaner hätten die Brunnen vergiftet, als im Mittelalter die Pest ausbrach, hieß es, Juden hätten die Brunnen vergiftet, oder die Cholera in Paris wurde restaurativen Politikern angehängt. Heute heißen die Brunnenvergifter Bill Gates, Pharmaindustrie und andere. Doch da die Erzähler ihre Mitmenschen gefährden und ein Teil dessen sind, was eine Pandemie virulent hält, muss sich die Gemeinschaft grundlegend mit ihnen auseinandersetzen, denn nur, wer sich nicht dorthin begibt, wo sich infektiöse Viren aufhalten, hilft mit, eine Pandemie zu beenden.
Das Internet, das Verschwörungserzähler zusammenführt, politisch neu fassen. Unternehmen, die seit den 90er Jahren das Internet dominieren, arbeiten jenseits verbindlicher demokratischer Regeln. Erst allmählich beginnen Regierende, den Tatbestand zu bedenken. Es geht um nicht entrichtete Steuern und darum, dass mit Hassreden und roher Sprache in den Medien des Internets und mit Gewalt auf der Straße Verschwörungserzähler sowohl politische Regeln als auch Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie missachten.
Gefährlichen Viren aus dem Weg gehen. Das wirksamste Mittel gegen eine Pandemie. Theoretisch einfach, aber mit acht Milliarden Menschen, die normalerweise eng miteinander in Berührung kommen, praktisch schwierig. Andererseits haben Menschen in der Corona-Pandemie durch weltweite Solidarität und Kooperation eine große Verbundenheit erfahren. Das Einzigartige einer Pandemie ist, dass alle Menschen, trotz individueller und kultureller Besonderheiten, durch die Bedrohung durch dieselbe Virenart eine vergleichbare Erfahrung machen. Können sie diese einzigartige Verbundenheit nutzen und solidarisch handeln, legen sie nachfolgenden Generationen die Basis für eine pandemiefreie Zeit. Gut für sich zu sorgen, mag individuelle Zuversicht schaffen, doch wer gut für andere und gut für sich sorgt, hat Teil an etwas Größerem. Jeder kann etwas tun, Pandemien zu vermeiden: jeder einzelne und weltpolitische Kooperationen.
Ein Frühwarnsystem auf globaler Ebene einrichten. Kommt es zu Infektionen, ist rasch zu handeln: Infektionsketten verfolgen, Infizierte ausfindig machen, Erreger identifizieren und Erkrankte sofort behandeln, wie es die WHO mit ihrem „Internationalen Zentrum für Pandemie-Aufklärung“ von 2021 plant, ein globales Frühwarnsystem zur rechtzeitigen Ergreifung geeigneter Maßnahmen.
Zukunft vor ihrer Realisierung verwirklichen. Nicht passiv warten, sondern beginnen und nach und nach praktizieren. Matthias Horx nennt das Re-Gnose: „Wirklichkeit entsteht durch eine Vision, die auf uns zurückwirkt“ (Horx, S. 72). Als Jäger und Sammler darüber nachdachten, sesshaft zu werden, veränderten sie sich bereits leiblich, mental, psychisch und sozial so, wie sie es taten, als sie tatsächlich anhielten (vgl. Eickhoff, S. 240).
Mit Politik das Gemeinwohl sichern. überraschenderweise hat unter SARS-CoV-2 die Politik gegenüber Lobbyismus und Wirtschaft für eine Zeit die Führung übernommen, denn Denken, Fühlen und Handeln mussten auf ein Ziel konzentriert werden: Schutz vor Infektionen, Retten und Pflegen Infizierter und das Beenden der Pandemie. Das gemeinsame Ziel im Auge behalten und danach handeln ist Aufgabe der Politik. Da aber nationale Alleingänge keine Pandemie beenden, braucht es darüber hinaus globale Kooperationen.
Eine globale Bildung erarbeiten. Da Bildung die Basis allen Tuns für ein intelligentes, respektvolles Kooperieren aller Kulturen ist, müssen die Menschen interessiert sein und interessiert werden. Denn sie brauchen geeignete Informationen, wozu eine global orientierte Bildung gehört, wie sie Christoph Wulf in seiner „Vision einer inklusiven, gleichberechtigten, hochwertigen und lebenslangen Erziehung und Bildung“ (Wulf, S. 27, vgl. S. 25-28.) entworfen hat.
Mit Blick auf die Zukunft umdenken. Die gegenwärtige Welt erscheint als düsteres Bild. Aber mit kleinen öffnungen ins Freie, denn Lockdown und Quarantäne gegen die Corona-Pandemie haben bei vielen Menschen, Institutionen, Unternehmen und Politikern zu einem Sinneswandel geführt. Weltweit werden Städte grüner, wird der Straßenverkehr eingedämmt und elektrifiziert, Umweltverschmutzung ernst genommen, werden Corona-Fahrradwege geschaffen und das Urban gardening oder das Underground growing praktiziert, gehen Menschen achtsamer miteinander um, viele Menschen konsumieren nachhaltiger und die Finanzmärkte halten mittlerweile Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft für maßgeblich. Jeder Einzelne, zivilgesellschaftliche Initiativen, Institutionen, Unternehmen und die Politik müssen diese Vorgänge befördern.
Literatur
Eickhoff, H. (2020): Athleten des Minimalismus. Globalisierung und Infektionskrankheiten, in: Döring, D., Die Pandemie. Was wir verlieren/was wir gewinnen. Geisenheim
Falb, D. (2015): Anthropozän. Berlin
Hassett, Brenna (2018): Warum wir sesshaft wurden und uns seither bekriegen, wenn wir nicht gerade an tödlichen Krankheiten sterben. Darmstadt
Hempel, S. (2020): Atlas der Seuchen, Epidemien der Weltgeschichte: Vom Aussatz bis zum Zikafieber. Köln
Horx, M. (2020): Die Zukunft nach Corona. Berlin
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