Eins
Am Anfang die Burra
Zwei
Die Erfindung des Klosters
Drei
Hold, stolz und heilig
Die berufene Hildegard
Vier
Der Name der Rose
Der tapfere Gerhard
Fünf
Das Wunder der Regel
Der heilige Benedikt
Sechs
Des Kaisers neue Mönche
Der zielorientierte Karl
Sieben
Unternehmen, Kloster, Marke
Acht
Kreativ im Team
Die Erfindung des Tisches
Neun
Die Brille, das Papier, die Universität und die Null
Wunderliche Ingredienzien und eine Raum-Suche
Zehn
Ungenutzte Chancen
Schloss Johannisberg und die Etablierung einer Weltmarke
Elf
Fabelhaft einfache Moral
Zwölf
Aufbruch ins neue Büro
BURRA
Der fabelhafte Aufstieg der Büroarbeit
Auf dem Weg ins Büro von Morgen
Prolog
Der fabelhafte Aufstieg der Büroarbeit besteht aus den beiden sachlich und logisch eng aufeinander bezogenen Texten Auf dem Weg ins Büro von Morgen und Das Einmaleins der guten Führung.
Im ersten Teil wird eine Geschichte erzählt: die Geschichte von der Erfindung des Büros und von ihren Verwandlungen und Metamorphosen bis heute. Wie die meisten guten Geschichten gründet sie in historischen Tatsachen, die durch freie erzählerische und fantastische Elemente bereichert und verdichtet werden, um wesentliche Aussagen über das moderne Büro treffen zu können. In der Geschichte geht es nur so weit um die Ursprünge des Büros, als sie sichtbar machen, was das Büro seinem Wesen nach ist – ein Ort des Sinns, der Gestaltung von Gesellschaft sowie der Pflege der Kultur.
Im zweiten Teil wird dargelegt, was sich aus der erzählten Geschichte für die Arbeitswelt von morgen lernen lässt. Entsprechend handelt es von Fragen und Antworten, die sich auf die Büroarbeit beziehen, die zu einer zentralen Tätigkeit der modernen Welt geworden ist; und wie sich von ihr ausgehend eine zukunftsfähige Kultur entwickeln lässt: eine Kultur der guten Führung, eine Ökologie co-kreativen Miteinanders und die Gestaltung der Gesellschaft.
Auf diese Weise möchten wir Ihnen einen ermutigenden Blick auf die heutige und zukünftige Arbeitswelt eröffnen und den Horizont Ihres unternehmerischen Handels weiten.
Auf dem Weg ins Büro von Morgen
In der modernen Welt ist die Büroarbeit die hauptsächliche gesellschaftliche Tätigkeit. Das Büro ist ein Steuerungsinstrument, das großen Einfluss auf Veränderungen in der Welt hat. So gesehen ist das Büro ein Mastertool des Wirtschaftens.
Die Entstehungsgeschichte des Büros und die Methoden seiner Erfinder sind ein Füllhorn voller Inspiration für Menschen, deren Verantwortung darin liegt, Unternehmen zu führen und sich in einer rasant verändernden Zeit zu erneuern. Doch wer erneuern will, braucht ein Gedächtnis, das weit zurückreicht. Vor dem Hintergrund der fortgeschrittenen Globalisierung, der Digitalisierung und unablässiger Entwicklungen sind die Vorstellungen darüber zu ändern, wie Arbeitsprozesse gestaltet werden, wie Menschen miteinander umgehen sollen und wie Arbeitsräume einzurichten sind, damit Menschen motiviert und kulturell gefördert werden und damit sie die Möglichkeit erhalten, sich selbst zu motivieren.
In Zukunft werden viele Routinearbeiten im Büro nicht mehr von Menschen, sondern von intelligenten Medien gemacht. Das ist gut so, denn Menschen sollten ihre schöpferischen Kräfte nicht dadurch vergeuden, dass sie tagaus, tagein Geist und Gefühl tötende Routinearbeiten verrichten.
Was in Zukunft an Büroarbeit bleibt, ist das Herstellen von Sinn und das Gestalten von Gesellschaft. Dazu bedarf es einer umfassenden Zusammenarbeit und der Ausbildung ko-kreativer Kräfte. Damit das geschehen und gelingen kann, dürfen Büros nicht nur funktionieren, sondern brauchen eine schöne und poetische Note – das heißt, sie müssen dem Menschen in Bezug auf Licht, Lärm und Bewegungsmöglichkeit und in Hinsicht auf Ordnung, Prozessvollzug und Vernetzung angemessen sein. Schönheit und Poesie sind eine Art Dünger für Motivation, Kreativität und Freude, weil sie die Motivation stärken und das Wohlbefinden erhöhen.
Das Büro ist ausdrücklich erfunden worden, um das Kostbare zu bewahren. Um Kostbares zu schützen und immer wieder neue Schätze zu erfinden. Dieses Wissen ist in vielen Institutionen und Unternehmen in Vergessenheit geraten, obwohl das Büro mittlerweile als Mastertool des Lebens anerkannt ist. Dass das zu oft sträflich übersehen wird, zeigt sich daran, dass die meisten Büros von der Rationalität reiner Wirtschaftlichkeit beherrscht sind. Derart geprägte Büros sind Teil von Unternehmenskulturen, die Menschen enttäuschen und erschöpfen, weil die kulturelle Umgebung ihnen nicht angemessen ist und keine Resonanz hervorruft, was die Lebensqualität in erheblichem Maße mindert. Am Ende sogar die Produktivität. Liebloser Umgang miteinander und lieblos eingerichtete, seelenlose Büros entfachen kein Feuer für die Sache, sondern erzeugen Reibungsverluste, weil sie die in jedem Menschen schlummernden Möglichkeiten nicht wecken. Das hat dramatische Formen angenommen und ist für Menschen, Unternehmen und Gesellschaften kontraproduktiv.
Die nachfolgende Parabel soll das Gedächtnis auffrischen. Spielerisch und mit Freude anregen. Sie soll das Wissen mehren und das Bewusstsein dafür schärfen, dass Unternehmer ebenso wie Büroarbeiter erkennen, wie wichtig die Humanität des guten Umgangs, die Schönheit der Einrichtung von Büros und die Logik der Organisation der Prozesse für die eigene Arbeit und für das Unternehmen sind. Denn das Kostbare, das Büros neben der Verrichtung von Arbeit heute zu bewahren und zu entwickeln haben, ist der Mensch.
Eins
Am Anfang die Burra
Die Geschichte, von der hier erzählt wird, handelt von einem gewöhnlichen Stück Tuch, das sich in einer langen Geschichte von einem Ding über einen Ort zu einer Idee entwickelt, um am Ende als moderne Arbeitswelt allerhöchste Bedeutung zu erlangen. Es handelt vom Wunder oder von der Suche nach dem Gral der Arbeit. Doch wie seltsam ist es, wenn man nach einer Sache sucht, die noch unbekannt ist und von der es bestenfalls eine Ahnung gibt. Damit Neues entstehen kann, müssen viele Dinge zusammenwirken, manchmal aber ist es nur – wie hier – ein Stück Tuch, das einen Ausgangspunkt für Neues bildet. Und dieses Neue ist, soviel wollen wir hier schon verraten – der Beginn des Büros.
Das Neue nimmt seinen Anfang vor 800 Jahren mit wunderlichen Ereignissen. Die Zeit: das Hochmittelalter. Ort des Geschehens: der Rheingau. Das Objekt: ein Stück Filztuch. Die Akteure: Ein heiliger Kirchenmann und ein Kaiser, eine Mystikerin und ein Abt, Nonnen und Mönche sowie ein bürgerlicher Handwerker, ein Fürst und ein zweiter Kaiser. Sie sind die Protagonisten dieser Geschichte.
Die Entwicklung verläuft nicht geradlinig, sondern wird immer wieder durch Personen und widrige Ereignisse aufgehalten. Damit ein unbedeutendes Stück Tuch überhaupt von sich reden machen kann, braucht es Helfer wie Benedikt und Karl, Hildegard und Gerhard, wie unbenannte Nonnen und Mönche, wie Michael, Clemens Wenzel und Franz Joseph. Und am Ende jeden von uns.
Schauen wir einmal genauer auf den Anfang vor 800 Jahren im Kloster Ruppertsberg am Rhein, als sich Nonnen daranmachen, die Werke einer Heiligen, der Hildegard von Bingen zu kopieren, um daraus ein Buch zu binden. Das ist damals kein schnelles Copy-Pasting, sondern das behutsame Übertragen eines handschriftlichen Textes in einen wie gedruckt wirkenden Text durch eine Schönschrift per Hand. Die Nonnen kommen mit der Arbeit nicht voran, immerhin sind neben der alltäglichen Klosterarbeit 481 Pergamentrollen auf Papierblätter zu übertragen. Vielleicht aber ahnen die Nonnen auch, dass es hier um etwas Großes, noch nie Dagewesenes geht, um etwas sehr Bedeutendes, das mehr als das herkömmliche Wissen und Können verlangt – Werkzeuge, praktisches Wissen, kluge Helfer, neue Arbeitsformen. Daher ziehen sie den Abt des Klosters Eberbach zu Rate.
Tatsächlich weiß Gerhard, der Abt von Eberbach, Rat. Und schon bald geht die Arbeit voran. Wie konnte das geschehen? Die Nonnen vom Ruppertsberg werden bei der Abschreibearbeit von Mönchen des Klosters Eberbach unterstützt. Ein unerhörter Vorgang, Nonnen und Mönche – also ordinierte Männer und Frauen – gemeinsam an einer Sache arbeiten zu lassen. Das Produkt ihres gemeinsamen Engagements ist der berühmte Ruppertsberger Riesenkodex, auch Wiesbaden-Kodex oder Kodex mit der Kette genannt –, die Handschriften mittelalterlicher Werke von Hildegard von Bingen. Der Kodex mit den 481 Blatt Pergament misst 46 mal 30 Zentimeter und wiegt 15 Kilogramm. Daher der Name Riese. Zum Kodex mit der Kette wird das Werk, nachdem es im 15. oder 16. Jahrhundert mit einem neuen Einband aus Schweinslederbezug versehen und zum Schutz vor Diebstahl an die Kette gelegt wird. Die Einbindung erfolgt vermutlich im Kloster Johannisberg im Rheingau.
Wie konnte es zu einer solchen Kooperation kommen und wie wird sie verrichtet? Festzuhalten ist, dass die drei Klöster maßgeblich an der Arbeit und damit an der Karriere des Tuches und somit an dem fabelhaften Aufstieg des Büros beteiligt sind. Und nicht von ungefähr liegen die drei Klöster geografisch exakt auf einer Linie.
Zwei
Die Erfindung des Klosters
Klöster sind Orte der Abgeschiedenheit. Des Rückzugs aus dem Alltäglichen. Sie entstehen mit der Ausbildung großer Glaubensbewegungen, deren Insassen die Möglichkeit suchen, meditierend Rituale ihres Glaubens zu praktizieren. Zuerst ist jeder inmitten Gleichgesinnter für sich. Insofern fassen die ersten Klöster die Mönche äußerlich zusammen – ohne Zwang und Verbindlichkeit. Das griechische Wort monachós bedeutet vereinzelt und verweist darauf, dass die ersten Mönche Einsiedler sind.
Klosterbewegungen entstehen im Buddhismus, im Hinduismus und im Christentum, ebenso bei den Maya und Azteken. Klöster sind avantgardistische Werke. Der Zeit voraus repräsentieren sie das Neue. Nicht selten sind sie Wunderwerke und wunderliche Stätten: Orte der geheimen Zusammenkünfte, verschlossene, geheimnisumwitterte und oft schwer zugängliche Winkel. Als Ansammlung einzelner Einsiedler bleiben Klosterbewegungen eine begrenzte Erscheinung. Erst mit ihrer inneren Zusammenfassung entwickeln sie sich zu solidarischen Gemeinschaften, zu Dienstleistungsinstitutionen und weitläufigen Wirtschaftsunternehmen.
Als Orte der Unterscheidung scheiden sie die Geschlechter, das Alltägliche vom Besonderen, das Wissen vom Glauben und das Praktische vom Spirituellen. Als Orte des Glaubens besteht das Klosterleben in Gebet und Lobgesang, in Einkehr und Stille.
Die ersten Klöster der Christen sind klein, strukturlos und die Klosterinsassen bestimmen selbst, wie sie leben und wie sie Gott dienen wollen. Dem frühen Klosterleben geben die Mönchs-Regeln Empfehlungen, aber keine Verbindlichkeit.
Drei
Hold, stolz und heilig
Die berufene Hildegard
Hildegard ist ein holdes Mädchen und eine bemerkenswerte Frau. Selbstbewusst, weise und charismatisch geht sie durchs Leben. Sie ist ganz Avantgardistin. Das irritiert ihre Mitmenschen. Sie scheint nicht wirklich in ihre Zeit zu passen, denn sie macht alles anders. Im 12. Jahrhundert hat eine Frau nichts in der Öffentlich verloren, doch Hildegard gibt mit ihrer Klugheit und Intelligenz, mit ihrer Kreativität und ihrem Engagement dem Abendland eine neue geistige und praktische Ausrichtung. Überall mischt sie sich ein und in ihrer alltäglichen Arbeit orientiert sie sich an der Logik der Situation, nicht daran, wie Menschen ihrer Zeit gewöhnlich handeln.
Als Kind betritt sie das Kloster Disibodenberg, benannt nach dem irischen Mönch Disibod, im Jahr 1136 wird sie mit 38 Jahren Lehrerin und in ihrem fünfzigsten Lebensjahr gründet sie ihr eigenes Kloster auf dem Ruppertsberg. Der Ort über dem Grab des Abtes Ruppert. Bereits mit der Gründung eines neuen Klosters verstößt sie gegen ein mönchisches Prinzip: die Stabilitas loci – das Versprechen, lebenslang in einem einzigen Kloster zu bleiben. Ihr Mut, ihr Engagement und ihr Behauptungsvermögen in einer von Männern dominierten Welt rufen Bewunderung, aber auch Widerspruch gegen diese frühe Feministin hervor.
Hildegard wird Mystikerin genannt. Das heißt, sie hat Visionen. Das griechische Wort myein heißt schließen – von Augen und Mund. Dass sie Visionen hat, bedeutet also, dass sie mit geschlossenen Augen sieht, was in ihren Schriften und in ihrem Leben gut zum Ausdruck kommt.
Sie möchte die Vision ihrer Liebe, ihrer Liebe zu Gott verbreiten. Hildegard ist eine Liebende, die in ihren Visionen ihre Liebe zu Gott wie eine leibliche, irdische Liebe beschreibt. Liebe als Gefühl äußerster Wertschätzung und Verbundenheit, das den Menschen zufriedenmachen, motivieren und über den Alltag hinaustragen soll. Damit sie ihre Vision besser kommunizieren kann, sucht sie nach einem Ort, der zentraler gelegen ist als Disibodenberg. Das mag einer der Hauptgründe für den Bau eines neuen Klosters mit dem Standort auf dem Ruppertsberg bei Bingen sein, denn die Stadt Bingen, am Rhein gelegen, ist traditionell ein wichtiger Verkehrsschnittpunkt, der in alle Himmelsrichtungen weist und an dem Güter, Können und neueste Informationen getauscht werden. Hildegard will das Klosterleben und die Gesellschaft erneuern. Sie mildert die Askese, lockert die Speisebestimmungen, verkürzt die langen Gottesdienste und lässt 1147 alle Räume und Zellen des von ihr gegründeten Klosters mit fließendem Wasser 0ausstatten. Denn sie weiß aus Erfahrung, dass sich Menschen auch wohlfühlen müssen, wenn sie ihre Arbeit gut verrichten sollen. Auch die Schönheit der Räume und ihrer Einrichtung regt die Sinne an und fördert Zufriedenheit. Klug und universalgelehrt folgt sie eigenen Denkansätzen. Sie beschäftigt sich mit Medizin und Philosophie, mit Seelsorge und Ethik. Sie komponiert und dichtet und hat Sinn für praktische Probleme, etwa, wenn sie nach der richtigen Ernährung, der richtigen Seelsorge oder der angemessenen Politik fragt.
Immer wieder ist Hildegard für überraschende Innovationen gut. So wendet sie das Prinzip des Healing Environments an. Eine ganzheitliche Idee mit der Absicht, das Wohlbefinden des Menschen bei der Arbeit im Kloster zu erhöhen. Erleben kann man das heute bei der Fließbandarbeit, während eines Krankenhausaufenthalts oder bei der Arbeit im Büro. Die Räume werden eingerichtet durch geeignetes Möbiliar, frohe Farben, ausreichend Tageslicht, eine ausgetüfftelte Arbeitsorganisation und ein angenehmes Geräuschklima.
Ihrem Weltbild gemäß hängt alles mit allem zusammen. Das wird zwar erst heute, nach 800 Jahren, als richtig anerkannt, macht sie aber bereits in ihrer Zeit für Fürsten, Könige und Päpste zu einer gefragten Beraterin in sozialen, seelsorgerischen und politischen Fragen. Das Zusammenhängende geht aus der mutabilitas, der Beweglichkeit hervor, die das ganze 12. Jahrhundert erfüllt. Plötzlich soll alles beweglich sein: das Denken, Fühlen und Handeln. Auch Hildegard ist ganz im Bann dieser neuen Ausrichtung, die ihr Leben und ihre Schriften prägt.
Vier
Der Name der Rose
Der tapfere Gerhard
Abt Gerhard von Kloster Eberbach ist ein tüchtiger, offenherziger Mann. Weise leitet er das Kloster, das noch einmal im 20. Jahrhundert für Furore sorgt, als es zum Schauplatz für die Filmarbeiten zum Film Der Name der Rose wird. Er leitet das Kloster in den Jahren 1168 bis 1178 und führt es zu ökonomischer und geistiger Blüte. Seine Weisheit besteht im Wissen, dass den Menschen drei Merkmale charakterisieren: eine Interesse an emotionalen, rationalen und sozialen Ausdrucksformen. Er ist an einem Austausch zwischen den Klöstern interessiert und orientiert sich an den Regeln des Heiligen Benedikt, die er wörtlich nimmt und so den Prinzipien der Zisterzienser folgt, da sie sich wörtlich an Benedikt halten. Einfachheit, Genauigkeit und Geduld sind sein Lebensmotto. Seine Geduld ist eine Toleranz, mehrdeutige Situationen und widersprüchliche Handlungsweisen der Menschen zu ertragen. Durch diese Ambiguitätstoleranz genannte Haltung ist er in der Lage, Widersprüche, kulturelle Unterschiede und missverständliche Informationen zu ertragen und mit Interesse und Gelassenheit darauf zu reagieren – nicht mit Unverständnis und Aggression. Eine gute Voraussetzung, den Nonnen gut zuzuhören, als sie ihm von Schwierigkeiten bei der Übertragung der Schriften Hildegards berichten. Durch seine Toleranz kann er couragiert die Konvention beiseitelassen und den Bitten der Nonnen nachkommen. Seine Tapferkeit macht auch ihn zu einem Avantgardisten und deshalb erlaubt er den Mönchen des Klosters Eberbach, den Nonnen bei der Übertragung behilflich zu sind. Hier zeigt sich Gerhard als der früheste Gentleman der Welt. Klug und unerschrocken geleitet er das Eberbacher Kloster, ein von dem heiliggesprochenen Bernhard von Clairvaux gegründetes Tochterkloster, durch eine schwierige Zeit, in der er immer wieder dadurch von sich Reden macht, dass er für Neuerungen aufgeschlossen ist.
Fünf
Das Wunder der Regel
Der heilige Benedikt
Bereits zweihundert Jahre nach den ersten Gründungen christlicher Klöster im 4. Jahrhundert in Ägypten werden die Klöster größer und wohlhabender und erhalten zusätzliche Funktionen. Daher verfasst der Heilige Benedikt von Nursia im 6. Jahrhundert zunächst nur für das von ihm gegründetete Kloster Montecassino, gelegen zwischen Rom und Neapel, eine Ordensregel. Um genauer zu sein: eine Abts-Regel, denn es handelt sich um ein Werk, das sich an die Leiter der Klöster wendet – nicht mehr an den einzelnen Mönch –, also an Äbtissinnen und Äbte, die den Auftrag erhalten, die neuen Aufgaben ins Kloster zu integrieren. Für sie entsteht nun die Möglichkeit, für das Kloster ein Gesamtkonzept zu entwickeln.
Mit seiner Ordensregel wird Benedikt zum Begründer des abendländischen Mönchtums. Sie soll den Klöstern Ordnung und den Klosterbewohnern Orientierung geben. Vor allem aber soll sie aus den verstreut im Kloster lebenden Ordensmenschen eine Gemeinschaft zimmern und Klöster zu eigenständigen Unternehmen mit Familiencharakter und einheitlicher geistlicher, geistiger und praktischer Ausrichtung formen. Eine weise Sicht, denn wie sich herausstellt, ist es tatsächlich die Ordensregel, die Menschen zur Gemeinschaftlichkeit führt und ihnen auch in schwierigen Zeiten eine feste Lebens- und Überlebensstruktur gibt. Sie schafft ein konstruktives Miteinander, das Freude und Lebenssinn stiftet. Das ist das eigentliche Wunder der Regel. Die Regel ordnet die Abläufe des klösterlichen Tages für alle vierundzwanzig Stunden und des klösterlichen Jahres für alle 365 Tage. Damit sich der Inhalt der Regel einprägt, in Fleisch und Blut übergeht, werden in vielen Benediktinerklöstern alle Paragraphen in einem Jahr dreimal gelesen. Immer wenn sich Menschen entscheiden, eine soziale Einheit zu formen, um gemeinsam zu leben, werden Regeln des Zusammenseins unverzichtbar.
Die 73 Paragraphen der Benediktus-Regel sind Empfehlungen für Führungskräfte, dem Kloster nach innen und außen eine einheitliche Ordnung zu geben: im Aufbau der Verwaltung, der Architektur der Klosteranlage, der Form des gemeinsamen Dienens sowie der Kulturpflege. Es obliegt den Äbtissinen und Äbten, darauf zu achten, dass die Klosterinsassen Ohne Wenn und Aber nach der vorgegebenen Unternehmenskultur leben. Durch die vorgegebenen Verhaltensweisen und Geisteshaltungen soll jeder am guten Gelingen des Ganzen mitwirken.
Die Regel handelt vom Gebet und von der Ortsbeständigkeit, vom Gehorsam und klösterlichen Lebenswandel, von der Verwaltung des Klosters und der Verteilung der Arbeit, von der Aufnahme der Novizen und ihrem Gelübde sowie von der Arbeit und vom Charakter der Klosterführung. Es gibt Empfehlungen, Gebote und Verbote. Der Paragraph 2 empfiehlt den Äbtissinnen und Äbten, durch die Tat und das gute Beispiel zu lehren und zu belehren. Der Paragraph 38 spricht das Verbot aus, während des Speisens im Refektorium zu sprechen, weshalb in dieser Zeit ein Text gelesen werden soll. Ein Gebot, Pausen einzulegen, findet sich in anderen Paragraphen. Morgens nach der Messe darf jeder eine Weile seinen persönlichen Stimmungen nachgehen. Auch nach dem Mittagessen gibt es eine Zeit der Rekreation, ebenso wie nach dem Abendessen: Für den Ausklang des Tages gibt es eigens ein Rekreationszimmer, in dem Nonnen und Mönche zur Ruhe kommen oder sich mit anderen über Erfahrungen und Erlebnisse des Tages austauschen können. Diese Einrichtungen sind sehr klug, denn nach dem Schaffen braucht der Mensch Ruhe, eine Phase der Erholung, um die Kräfte zu erfrischen. Auf die Kreation soll eine Zeit der Rekreation folgen, die heute als Gesundung und Erholung zu einem Menschenrecht geworden ist und sich in der Begrenzung der Arbeitszeit sowie in der Freizeit und im Urlaub zeigt.
Mit dem Wissen um das Wunder ist es nicht mehr schwer zu verstehen, dass sich Klöster immer dann zu wohlhabenden Unternehmen entwickelt haben, wenn die Insassen nach einer Regel, insbesondere der Abts-Regel leben. Sie ist es, die ein Benediktiner-Kloster zu einem einzigartigen Kosmos macht. Zu einer selbstgenügsamen, autarken Einheit. Alles, was eine Gemeinschaft zum Leben braucht, findet sich in einem geregelten Kloster. Konzentriert auf engem Raum finden Handwerk und Bildung, Landwirtschaft und Seelsorge, Wissenschaft und das Bewahren kostbarer Kulturgüter statt – alles unter einem Dach. Für heutige Unternehmen sind keine besseren Vorbilder bekannt.
Sechs
Des Kaisers neue Mönche
Der zielorientierte Karl
Weil das Ersetzen der frühen Mönchs-Regel durch die Abts-Regel auch auf Widerstand stößt – das zwar ein Merkmal jeder Neuerung ist, doch im Kloster um so mehr, als es sich um begeisterte, für die Sache engagierte Menschen handelt –, hat sich ein mächtiger Mann ins Spiel gebracht: Karl der Große. Er gibt eine Abschrift der Benediktiner-Regel in Montecassino in Auftrag und bestimmt nach der Lektüre, alle Klöster im Frankenland – von Aachen bis Sizilien – zu Benediktiner-Klöstern zu machen. Ein Vorhaben, das sein Sohn Ludwig erfolgreich umsetzt. Damit spricht ein Kaiser in Glaubensfragen ein Machtwort: Er entzieht der individuellen Freiheit der Mönche die gesetzliche Grundlage und überträgt Führungskräften Rechte und Pflichten, festzulegen, was im Kloster unter einem Gott gefälligen Leben zu verstehen ist. Die Klosterinsassen müssen anerkennen, dass ein Leben im Kloster bedeutet, in der Gemeinschaft mit anderen zu leben. Dennoch ist die Regel so verfasst, dass ihnen Spielräume für Eigenes und für Eigeninitiativen bleiben. Karl versteht sein Vorgehen zugleich als Bildungsauftrag, um den Menschen, etwa den Novizen – den Neuankömmlingen im Kloster – Disziplin und Lesen, Schreiben und Denken beizubringen.
Bis zum Hochmittelalter sind Klöster die einzigen Bildungseinrichtungen. Das Leben der Benediktiner-Mönche verläuft äußerst diszipliniert – es ist eine intensive Arbeit am Körper, am Geist und an der Seele, die zu einer spirituellen Haltung führt. Und es ist der Auftrag der Klöster, das Kostbare – das Geistige und Kulturelle – zu bewahren: Sie lesen, übersetzen und forschen, und sie bewahren für uns, ihre Nachfahren, die wunderbare Gedankenwelt der Antike und des Mittelalters.
Benediktiner-Klöster sind Laboratorien der Zukunft. In ihnen wird geforscht, gelernt und experimentiert. Sie sind Stätten des Erfindens und wirtschaftliche Unternehmen des Herstellens und Verteilens. Das bedeutet, dass Nonnen und Mönche auch der praktischen Arbeit nachgehen – sie betreiben Handwerk, erfinden Werkzeuge, erdenken neue Produktionsweisen und erzeugen Lebensmittel. Das Wunderliche ist, dass sie die Wirkung ihres Tuns gar nicht kennen, gar nicht kennen können, und dennoch das Unternehmerische ganz intuitiv praktizieren. Bereits die Standortfrage – lange Zeit das Alpha und Omega des Wirtschaftens –, wie schon Hildegard erkennt, begegnen sie spontan richtig: ein Fluss soll ihnen Energie liefern und Abfall beseitigen, ein fruchtbarer Boden ausreichend Lebensmittel bescheren und ein nahegelegener Wald Holz liefern. Da das Erwirtschaftete immer wieder in neue Projekte gesteckt, und nur zu einem kleinen Teil konsumiert wird, haben sie unbeabsichtigt den Kapitalismus in seiner reinen, positiven Form erfunden. Auch aus dem Grunde werden später Kloster und Klosterleben zum Vorbild für das bürgerliche Leben und ein Ausgangspunkt für das kapitalistische Wirtschaften. Auch deshalb ist die Benediktiner-Regel die am weitesten verbreitete Ordensregel, die viele Jahrhunderte die Welt des Mittelalters prägt.
Äbtissinnen und Äbte werden durch die Regel neben ihrer seelsorgerischen Arbeit zu Bauherren, Führungkräften, Spitzenmanagern und Teamleitern, die stellvertretend für Nonnen und Mönche das Klosterleben organisieren. Durch die Regel erhalten Klosteranlagen zusätzliche Gebäude, um eine autarke Klostergemeinde in der Abgeschiedenheit zu ermöglichen: Es gibt Gebäude für Wohnen und Andacht, für Schlafen und Speisen, für Krankenpflege und Arbeit, für Schulen und für die Aufnahme von Gästen sowie eine Kirche für Begegnung, Versammlung und Messe. Für jedes Unternehmen ist das Wunderwerk Regel eine Fundgrube.
Sieben
Unternehmen, Kloster, Marke
Die drei Prinzipien von Benedikt und Karl heißen Stabilitas loci (bleiben in einem Kloster), Ora, labora et studio (beten, arbeiten und lernen) und Vita communis (gemeinsam Leben). Mit der Vereinheitlichung der christlichen Klöster seines Reichsgebietes hat Karl unter dem Stichwort Dienen ein Unternehmen mit einer Marke und einer eindeutigen Corporate Identity etabliert: der Kutte (Burra) mit Kapuze.
Stabilitas loci ist das räumliche Miteinander. Sie fordert die Mönche auf, nicht immer wieder auf Wanderschaft zu gehen, wenn Konflikte im Kloster entstehen. Es besteht die Gefahr, den Konflikten aus dem Weg zu gehen und sich nicht weiterzuentwickeln. Deshalb sollen sie an einem Ort bleiben und Verantwortung für Mitbrüder und für das Kloster übernehmen, um an der Prosperität des Unternehmens Kloster mitzuwirken.
Ora, labora et studio, verkürzt zum flüssigen Ora et labora, ist das geistige Miteinander. Eine Forderung nach Konzentration auf Wesentliches. Labora ist die Arbeit, die im Mittelalter als Dienst aufgefasst wird: die seelsorgerische Tätigkeit in einer Gemeinde, die handwerkliche Arbeit zum Erhalt der Klosteranlage, zum Bau neuer Gebäude, das Herstellen von Lebensmitteln sowie die geistige und kulturelle Pflege des Glaubens und der Wissenschaften. Ora bedeutet neben Beten auch Besinnung, Meditation, Dank und Demut. Studio ist das Aufnehmen – das Lernen und das Ausbilden der Talente.
Vita communis ist das kulturelle Miteinander. Sie bindet die Klosterinsassen in ihrer gemeinschaftlichen Tätigkeit zu einer Einheit zusammen. Die Mission der Benediktiner-Regel liegt nicht im Vorankommen einzelner, sondern in der Bewahrung und Weiterentwicklung des Unternehmens Kloster: Leben und Arbeiten unter der Regel heißt Versammlung.
Nonnen und Mönche der Benediktinerklöster fassen ihre Arbeit nicht äußerlich als Job auf, denn sie haben eine Mission und arbeiten mit Leib, Seele und Engagement. Alles was sie tun, kommt von Innen und ist der Idee und des Zieles der Christlichkeit und der Liebe untergeordnet. Deshalb genügt ihnen nicht die reine physische Befriedigung, sondern ihre Motivation liegt in der Überwindung des Egoismus. Sie wollen ihre Überzeugungen mit anderen teilen und Kloster und Gesellschaft gestalten. Das ist es, woraus ihre Motivation, ihre Kreativität und ihre enorme Kraft resultiert.
Wenn auch die Gemeinschaft im Vordergrund steht, die Bedürfnisse einzelner werden nicht übergangen. Benedikt schlägt zwar vor, alle gleich zu behandeln, weil es im Kloster gerecht zugehen soll, doch da es im Kloster auch menschlich zugehen soll, hat jeder das Recht auf persönliche Zuwendung. Daher soll die Klosterleitung ein Auge für persönliche Vorlieben haben: mögen sich einige den Wissenschaften oder der Gemeindearbeit widmen, andere die Gartenarbeit vorziehen oder gutes Essen und Trinken lieben.
Klöster verfügen über einen umfassenden Tugendkatalog. Ursprünglich bedeutet Tugend das Taugliche und Vortreffliche, das im Christentum um das moralisch Taugliche erweitert wird und dem Laster entgegensteht. Nonnen und Mönchen sind Pflichten auferlegt, die zu heutigen Unternehmen passen: sie sollen innerhalb des Klosters arbeiten, aber auch außerhalb in einer Gemeinde helfend wirken, in der ihre Tätigkeiten ganz und gar an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet sind (Kundenorientierung), ihre offenen Dialoge (Transparenz) sowie ihre intuitive Entscheidung zur gemeinsamen Arbeit (Teamwork), ihr Bemühen, das Kostbare (Produkt) zu erhalten und ihre Fähigkeit, Konflikte zu lösen (Konfliktlösungsstrategien) führen dazu, dass sie gute Partner (motivierte Mitarbeiter) sind, dass sie wertvolle Erzeugnisse produzieren (Qualität), dass sie immer wieder Korrekturen an den Zielvorgaben vornehmen (Zielmanagement) und die Ressourcen der Natur schonen (Nachhaltigkeit). Eingebunden in die strenge zeitliche Gliederung des Tages (Zeitmanagement) werden persönliche Zweifel und Unsicherheit (kritische Selbstkontrolle), durch die Gemeinschaftlichkeit aufgefangen. Von diesen strategischen Positionen, die das Kloster zu einer Ikone machen, mit Klosterkirche und Kreuzgang im Zentrum, können heutige Unternehmen immer noch lernen.
Für den Pater H.J. Zoche ist die katholische Kirche eine „Jesus AG“ mit dem genialsten Produkt (Erlösung), dem teuersten Logo (Kreuz) und den schönsten Flagshipstores der Welt (Kirchen, Katheralen, Klöster).
Acht
Kreativ im Team
Die Erfindung des Tisches
Da wichtige Aufgaben der Führung eines Unternehmens wie ein Kloster Bewahren und Erneuern, Planen, Entwickeln und Beraten heißen, heben gut geführte Klöster ihre Nonnen und Mönche auf ein hohes Kulturniveau.
Als im Kloster Eberbach in der Causa Hildegard einem der Mönche das ständige Hin- und Hertragen der Papyrusrollen der Schriften Hildegards zu schaffen macht, aber auch bedenklich erscheint, sucht er nach Abhilfe. Ihm kommt der Gedanke an ein Gestell mit einer Schreibauflage in den Sinn, an dem er stehend schreiben kann. Er überlegt nicht lange, sondern fertigt eine Skizze an, geht in die Werkstatt und baut nach der ersten Idee ein Gestell aus Holz. Das Produkt ist instabil. Es wackelt, droht zusammenzubrechen und infolge des unsicheren Unterbaus gelingen beim Schreiben die Buchstaben und Ausschmückungen der Seiten nur unvollkommen. Dessen ungeachtet ist einer der Mönche von der Idee und dem Gestell beeindruckt. Vor allem aber von der Kreativität des Mitbruders. Er bemerkt dessen Unzufriedenheit und spricht ihn darauf an. Sie tauschen sich aus und ersinnen einen Entwurf für ein stabileres Gestell. Da das verbesserte Resultat immer noch nicht überzeugt, entscheiden sie sich, weitere Brüder und Schwestern einzubeziehen, denn sie haben rasch verstanden, dass unterschiedliche Talente gebraucht werden: einer muss etwas von Holz verstehen, ein anderer bauen können, ein dritter die Elemente fest verbinden und ein weiterer die Dinge schön gestalten können. Sie erkennen auch, dass es schwierig ist, etwas in die Welt zu tragen, dass es noch nicht gibt. Daher beschäftigt sich nun ein kleiner Trupp Nonnen und Mönche damit, ein solches Gestell zu entwerfen, zu planen und zu bauen. Sie zeichnen, legen Maße und Material fest, bauen und verwerfen, überlegen und entwerfen erneut, bis tatsächlich am Ende ein für das Lesen und Schreiben brauchbares und nützliches Gestell entsteht, das nun zum Prototyp für Gestelle auch der anderen Mitschreiber wird.
Das Gestell ist namenlos, bis ein Mönch zum Schutz von Papyrus und Papier vor den rissigen Brettern seinen Mantel, die Kutte, über die Bretter legt. Mit dem Namen für das Tuch der Mönchskutte ist der Name für das Gestell gefunden: burra. Ein einfaches Gerüst aus zwei Holzstützen, Querstreben und Brettern als Auflage. So geht der Name des Tuches über auf das Gestell – das wir heute Tisch (auch Pult) nennen. Mit dem Namen war die Erfindung des Schreibtisches abgeschlossen. Dieses weltbewegende Ereignis trug sich zu am 17. August des Jahres 1179. Einige Zeitgenossen glaubten, eine leichte Erschütterung der Erde wahrgenommen zu haben, andere sprachen von einem ungewöhnlichen Licht am Himmel. Das war ein Monat vor Hildegards Tod.
Wenn zur Stabilisierung des Tisches etwa dreihundert Jahre später Bretter und Böcke fest miteinander verbunden werden, geben die Franzosen dem Tisch den Namen bureau (von burra). Erst weitere Jahrhunderte später wird der Raum, in dem das bureau, der Tisch steht, zum Büro, wie wir es heute kennen.
So ist ausgehend vom Kloster Ruppertsberg im Kloster Eberbach spontan eine neue Arbeitsweise entstanden, die wir heute Ko-Kreation nennen: Die gegenseitige Anregung in einer Arbeitssituation, in der alle Beteiligten gemeinsam an einer Sache arbeiten. Die Erfindung hat eine wunderbare Moral: Nonnen und Mönche haben gelernt, dass sie die Zukunft zwar nicht vorhersagen, aber erfinden können. Und sie haben gelernt, dass eine gute Methode eine Abfolge aus Experiment, Scheitern, Neuordnung, Experiment, Scheitern und so fort ist, an dessen Ende, wenn alles gut verläuft, das fertige Produkt steht. Überraschend ist auch die Erkenntnis, dass Fehler machen und Scheitern für ein erfolgreiches Arbeiten notwendig sein können. Heute, achthundert Jahre später, sind das anerkannte Weisheiten der Wissenschaften und weise geführter Unternehmen.
Nonnen und Mönche haben eine fabelhafte Erfindung gemacht. Sie sind stolz darauf, fühlen sich als Team und als bewegende Kraft, denn sie haben bei ihrem gemeinsamen Projekt Vertrauen gewonnen und erfahren, dass sie zusammen kreativ, produktiv und effizient sind und dass sie gemeinsam ihre Lebensbedingungen gestalten können. Und nicht zuletzt, dass Frauen und Männer durchaus gemeinsam an einer Sache arbeiten können. Wie bemerkenswert das im 12. Jahrhundert ist, wird begreiflich, wenn man bedenkt, dass sich noch um 1890 Männer, Gewerkschaften und Kirchenverbände vehement dagegen wehren, dass Frauen, die bis dahin Hausarbeit verrichten, ins Büro einziehen. Dass die Frauen seitdem tatsächlich zu Büroareiterinnen werden, liegt an den Mänern: Sie weigern sich, auf die Tasten einer neu erfundenen Maschine zu tippen – auf die Schreibmaschine. Diese Aufgabe übernehmen die Frauen mit Begeisterung, die die Gelegenheit nutzen, sich von der Hauswirtschaft frei zu machen.
Neun
Die Brille, das Papier, die Universität und die Null
Wunderliche Ingredienzien und eine Raum-Suche
Mit der Fertigstellung der Tische ergibt sich sofort die Frage: Wohin mit ihnen? Wo sollen sie aufgestellt, wo soll geschrieben werden? Damit beginnt eine lange Suche nach einem spezifischen Raum für das Schreibpult und die Abschreibearbeit. Damalige Klöster verfügen noch nicht über solche Räume. Es gibt lediglch Zwischenräume ohne feste Funktion, informelle Nischen, in denen die neuen Schreibstützen ihren vorläufigen Ort erhalten. Der Name einer solchen Nische ist officina – Werkstatt.
Wenn Neues erfunden oder ein Gedanke das erste Mal formuliert wird, gibt es immer Umstände, die den Weg dazu geebnet haben. Die Zeit, in der Hildegards Werke neu geschrieben werden, ist eine gesellschaftliche Umbruchsituation, in der sich die Arbeitswelt verändert: Handel, Handwerk und Wissenschaft entwickeln sich und Erfindungen und Entdeckungen werden gemacht, die neue Medien für das Ordnen und Kalkulieren sowie für das Fixieren von Verträgen und Urkunden erfordern. In dieser Zeit werden in unterschiedlichen Gegenden der Welt Dinge erfunden, die für das klösterliche Projekt in Ruppertsberg und Eberbach wie gemacht zu sein scheinen: das Papier und die Null, die Brille und die Universität..
In Paris, Bologna und Padua entstehen die ersten Universitäten. Die neuen Erfindungen und verbesserten Abschreibetechniken haben es möglich gemacht, etliche Schriften des Glaubens, der antiken Literatur und der Philosophie zu Büchern zu machen, durch die die Studierenden selbständiger lernen und arbeiten können.
Um Kleingedrucktes lesen zu können, benutzt man Kristalle und durchsichtige Steine mit gebogener Oberfläche, die Buchstaben und Wörter vergrößern. Aus diesen Lesesteinen wird in der Toskana im 12. Jahrhundert die Brille entwickelt. Die Buchstaben können nun kleiner geschrieben werden und die Speicherkapazität einer Buchseite erhöht sich.
Die Null ist eine Raffinesse des menschlichen Geistes und die Basis von Mathematik und Digitalisierung. Ein gedankliches Instrument zur Erleichterung des Rechnens, der Bilanzierung und der Abstraktion. Erfunden in Indien ist die Null die einzige Zahl, die neutral ist, kein Vorzeichen hat, und die in der Lage ist, abstrakte Mengen übersichtlich zu ordnen.
Papier wird vor etwa 2000 Jahren in China erfunden. Das Herstellungsverfahren gelangt über Korea und Japan nach Arabien, von wo aus es im 12. Jahrhundert Europa erreicht. Auf dieses Medium werden nun die Werke Hildegards übertragen. Nicht nur ihre geschriebenen Gedanken sind kostbar, sondern auch das Papier, auf dem sie festgehalten sind: Nicht ohne Grund heißt Papier, das zuerst in Ägypten aus Papyrus gemacht wird, „pa-en-per-aa“ – „das, was dem Pharao gehört“.
So laufen in der Zeit Hildegards unterschiedliche Elemente an einem Ort zusammen, die für eine Weiterentwicklung des Pultes, der Schreibtechnik und des Büros wie gemacht erscheinen.
Zehn
Ungenutzte Chancen
Schloss Johannisberg und die Etablierung einer Weltmarke
Das Schloss Johannisberg – der ehemalige Ort des Klosters Johannisberg – liegt zwischen den Klöstern Ruppertsberg und Eberbach und bildet den Schlussstein der Entwicklung vom Stoff der Kutte (burra) zum Büro (bureau).
Auf dem Johannisberg werden zwei weitere Gehilfen und Förderer des Büros aktiv. Der Handwerksmeister Michael Thonet aus Boppard am Rhein führt im Jahr 1841 dem Schloss-Besitzer Fürst Clemens Wenzel von Metternich-Winneburg seine nach einem Spezialverfahren hergestellten Stühle vor. Der Fürst ist überrascht. Nichts erinnert an die edlen massiven und teuren Sitze des Adels. Die Thonet-Stühle sind leicht, bestehen aus wenig Material, lassen sich gut versenden und sind für Bürger bezahlbar. Allerdings fehlen zur Realisierung des Stuhls Feinheiten. Das Holz für den Sitz, Beine und Rückenlehne muss in feuchtem Zustand gebogen und in eine Form gepresst werden, doch die Form lässt sich nach dem Austrocknen noch nicht dauerhaft halten. Insbesondere der eng gebogene Rahmen des Sitzes. Dazu sind weitere Experimente erforderlich, doch die Familie Thonet erhält in ihrer Region keine Kredite, weil niemand an die Vollendung des Stuhls glaubt. Glücklicherweise ist der Schlossherr weitsichtig. Er empfiehlt das Projekt dem österreichischen Kaiser Franz Joseph I. in Wien, der ebenso beeindruckt ist und das Projekt fördert, woraufhin die Familie mit vielen Mitarbeitern des Unternehmens nach Wien umzieht. Und nach wenigen Jahren geschieht doch noch das Wunder – alle Herstellungsschwierigkeiten werden überwunden, die gebogenen Stuhlformen halten dauerhaft und der erste Massensitz – der Wiener Kaffeehaus-Stuhl – geht in Produktion. Entstanden ist ein weltweit erfolgreiches Produkt ohne Gleichen.
Zugleich ist der Stuhl das Zeichen einer vertanen Chance. Die möglichen Geldgeber waren nicht auf der Höhe der Zeit. Das verrät allerdings erst die Historie: Geografisch verläuft die Karriere des Stuhls von Boppard über den Johannisberg nach Wien. Daher hätte er auch Bopparder, Johannisberger oder Rheingauer Kaffeehaus-Stuhl heißen können und hätte dieser Region eine Weltmarke beschert.
Ein Fürst und ein Kaiser erkennen die gesellschaftliche Entwicklung und die historische Tragweite von Büro, Stuhl und Sitzen. Sie zeigen deutlich ihre Führungskompetenz. Beide verfügen über sachliche, wirtschaftliche und soziale Fähigkeite und haben das Planen und Vorausschauen erfolgreich zum Ziel geführt. Sie haben Freude am Neuen und eine gute Kommunikationsgabe, sie sind neugierig und bereit, ein kalkulierbares Risiko einzugehen. Die Brisanz besteht darin, dass die beiden Adligen Clemens Wenzel und Franz Joseph die Bedeutung und das Ausmaß eines bürgerlichen Objekts erkennen und ihre Realisierung unterstützen, obwohl sie als Adlige der Gesellschaftsschicht des Bürgertum gerade in der Zeit kulturell und politisch diametral entgegenstehen. Eine wahrhaft wunderliche Fügung. Dass sie so eindrucksvoll ihre Führungsqualitäten bewiesen haben, mag Unternehmen und Institutionen zu denken geben – nämlich wie erfolgreich gute Führungsqualität und Weitsicht sein können.
Elf
Fabelhaft einfache Moral
Die Art und Weise, wie moderne Büros erfolgreich und nachhaltig eingerichtet und geführt werden können, lässt sich schlüssig aus der Wirkungsweise derjenigen Klöster des Mittelalters herleiten, die nach einer Ordensregel arbeiten. Sie muss aber gestützt werden durch die Persönlichkeit der beteiligten Personen. So arbeiten Benedikt und Karl, Hildegard und Gerhard, Nonnen und Mönche, Michael, Clemens Wenzel und Franz Joseph gemeinsam an der Funktion und der Moral des Büros, aus der sich eine neue Form des gemeinschaftlichen, teamorientierten Büroarbeitens herleiten lässt.
Benedikts Idee, den Äbtissinnen und Äbten besondere Befugnisse zu erteilen, entwickelt in den Klöstern eine bis dahin ungekannte Gemeinschaftlichkeit. Seine Regel gibt einen Kanon an Werten für das Einrichten eines Hauses und das Führen eines Büros vor: In der Mitte steht der einzelne Mensch mit seiner Persönlichkeit inmitten einer solidarischen Gemeinschaft.
Karls Autorität und Durchsetzungskraft sorgen dafür, dass die unterschiedlichen Unternehmen (Klöster) unter gleichen Bedingungen (Benediktiner-Klöster) arbeiten und eine neue Wirtschaftsform entstehen lassen: den frühen Kapitalismus – eine effiziente und ökologische Weise zu wirtschaften. Dass der Kaiser die Regel Benedikts für alle Klöster verbindlich macht, bietet den Leitern der Klöster die Möglichkeit, ihre persönlichen Anlagen zu entfalten und gewissenhafte Führungspersönlichkeiten zu werden.
Hildegards Engagement und Wissen inspiriert andere und ihre Ausgewogenheit (discretio) befördern maßgeblich die Entwicklung der abendländischen Gesellschaft. Sie hat durch ihren Mut das Klosterleben erneuert und den Nonnen trotz Askese, Disziplin und oft schwerer Dienste ein Wohlbefinden bei der Arbeit ermöglicht. Wir können es auch Glück nennen, denn zum Glück gehören neben Wohlbefinden auch Geborgenheit, die gelingende Einbindung eines einzelnen in eine Gemeinschaft: in eine Familie, ein Kloster oder ein Unternehmen. Allerdings wird das Wohl der Befindlichkeit erst abgerundet und vollendet, wenn die Einbindung in etwas gelingt, das größer ist als der Mensch und seine kulturellen Einrichtungen: wenn er spürt, dass er eins ist mit dem Ganzen des Seins. Da für Hildegard alles miteinander zusammenhängt und eine Einheit bildet, ist ihr Denken und Handeln bereits ganzheitlich – global und lokal.
Gerhards Gleichbehandlung aller Klosterinsaassen und seine Fähigkeit, ein Auge für persönliche Unterschiede zu haben, macht ihn zu einem Meister: zum Lehrer, Ratgeber und Weisen. Zu einem großzügigen Menschen mit Ambiguitätstoleranz. Er ist – wie Äbtissinnen und Äbte nach der Regel sein sollen – klug, bestimmt und einfühlsam, aufmerksam, kreativ und kooperativ.
Nonnen und Mönche erleben, dass sich in der gemeinsamen Arbeit des Übertragens der Schriften von Hildegard nach und nach ein gegenseitiger Respekt entwickelt. Im Kloster Eberbach entfaltet sich die ganze Wirkung der Regel, denn der persönliche Wunsch eines Mönchs, die Aufmerksamkeit eines Mitbruders und schließlich die gemeinsame Arbeit vieler machen es möglich, ein scheinbar unüberwindliches Problem zu lösen. Achtsamkeit, Respekt und Mut ändern die Bedingungen des Zusammenlebens von Grund auf. Sie haben die Ko-Kreation befördert und Menschen in die Lage versetzt, Konventionen zu überschreiten.
Wie das Büro im 12. Jahrhundert durch intelligente, überraschende, loyale Kooperation und Ko-Kreation beginnt, so vollendet es sich auch, indem ein Möbelbauer, ein Schlossherr und ein Kaiser die Geschichte des Büros abschließen. Sie zeigen noch einmal eindringlich, wie weit die ko-kreative Arbeit die Menschen tragen kann. Denn diese Avantgardisten verhalten sich ebenso intelligent, unkonventionell und solidarisch wie die am Übertragen der Schriften Hildegards beteiligten Personen. Auch diese drei Unternehmer – Handwerksbetreiber, Schlossbetreiber und der Betreiber eines Staates – arbeiten so wunderlich und so freimütig zusammen, dass sie ein Problem lösen, das als unlösbar galt. Die Lösung folgt ihrer ko-konstruktiven Haltung und ihrer loyalen Kooperation. Die Prüfung, ob etwas förderungswürdig ist – also geeignet für die Zukunft –, gelingt nur, wenn die Tragweite eines Produkts für ein Unternehmen und für die gesellschaftliche Entwicklung erkannt wird. Das erfordert einen historischen Weitblick, Wissen und eine heitere Weise, mit Gewohntem umzugehen – Vermögen, über die alle drei verfügen.
Zwölf
Aufbruch ins neue Büro
Gut geführte moderne Büros scheinen ihr Vorbild in der Lebensweise der Nonnen und Mönche der Benediktiner-Klöster zu haben. Die Vita communis fordert ein gemeinschaftliches Leben als Grundlage für ein zweifaches Ziel: die Weiterentwicklung des Unternehmens Kloster und das Führen eines sinnvollen Lebens der Klosterinsassen. Der Erfolg liegt in einer humanen Lebenseinstellung, die auch unter schwierigen Bedingungen ein lebenswertes Leben erlaubt. Die Stabilitas loci fordert das Annehmen und Aushalten von Konflikten und das Übernehmen von Verantwortung. Ora, labora et studio ist eine Formel für ein konzentriertes Verhalten: Labora bedeutet Arbeit als Dienen, Ora innere Arbeit und Studio Lesen, Studieren und Pflege des Geistes.
Eine Grundlage auch für den wirtschaftlichen Erfolg eines Klosters liegt im guten Umgang aller im Kloster lebenden Personen miteinander und ihre Begegnung mit Rücksicht, Respekt und Achtsamkeit.
Büros sind in ihrem Anfang Schreib- und Abschreibeorte. Später werden sie zu Amtsstuben, Kanzleien und Kontoren, am Ende zu Verwaltungs- und Geschäftsorten. In ihnen wird also erst ab- und aufgeschrieben, dann geplant, verwaltet, bilanziert und entwickelt. Sie begleiten die handwerklichen, industriellen und wissenschaftlichen Tätigkeiten, die sich in der modernen Welt zu einer Hauptbeschäftigung entwickeln: Daher die immense Bedeutung des modernen Büros und der tiefere Sinn der Parabel über den fabelhaften Aufstieg der Büroarbeit.
Je nach Aufgabenbereich haben Büros unterschiedliche Formen angenommen. Was aber geblieben ist, ist die Frage nach ihrer ethischen und ihrer ästhetischen Bestimmung. Wie soll das Büro aussehen? Genügt es, einen Raum und das notwendige Equipment zur Verfügung zu haben? Ein Lebensort braucht auch ein geeignetes Umfeld und ein Ambiente, wie schon Hildgard weiß. Die Parabel vom Tuch ist ein Lernen aus der Geschichte: Benedikt, Karl, Hildegard und Gerhard, Nonnen und Mönche sowie Michael, Clemens Wenzel und Franz Joseph leisten Enormes durch ihre Persönlichkeit, durch die Ordnung der Klöster und durch die Regeln des Zusammenlebens. All das ist hilfreich für die Organisation von Büros von heute und von morgen, das erfolgreiche Arbeiten von Unternehmen und das kreative und kooperative Arbeiten von Führungskräften und Mitarbeitern in allen Bereichen der Gesellschaft. Die Parabel zeigt: Gut geführte Büros vereinen in sich Poesie und Funktion. Beide Elemente sind der Weg zu offenen, freien und kleinen Wunder wirkenden Arbeitswelten. Das gilt umsomehr für das moderne Büro.
Mit der Suche nach einem geeigneten Raum für Tätigkeiten wie das Verfassen von Urkunden, das Abschreiben und das Bilanzieren des Unternehmens Kloster stellt sich ein Raum ein, dessen Name von burra über Bureau zu Büro verläuft, so dass sich aus dem Namen für das Tuch der Name für einen Tisch und am Ende der Name für einen Raum ergibt, der heute ein zentraler Ort der modernen Arbeitswelt ist. Moderne Büros tragen alle Elemente in sich, die sich seit der Übertragung der Werke von Hildegard im Kloster Eberbach und der Überwindung der Mühen der Nonnen und Mönche durch die Geschichte entfaltet haben. Die Werkzeuge haben sich gewandelt, doch die Werte des Büroalltags sind die alten geblieben – Hingabe und Courage, Verlässlichkeit und Respekt, Vertrauen und Toleranz, Wissen und Zuversicht sowie Funktion und Poesie: Werte, die unbedingt mitzunehmen sind auf den Weg ins Büro von Morgen.
Das Einmaleins der
guten Führung
Parabeln sind fantastisch. Sie erzählen kurz und packend eine lehrreiche Geschichte. Eine solche Geschichte ist unsere Parabel über das Büro. Sie ist voller Hinweise, aus denen Führungskräfte Weisheit ziehen können. Die wichtigsten sind hier aufgeführt.
Abt, Äbtissin
Abt und Äbtissin sind die Führungskräfte eines Klosters. Sie wissen, dass Menschen rationale, emotionale und soziale Wesen sind. Darin liegt ihre Weisheit. Sie begegnen den Mönchen ungeachtet ihrer sozialen Stellung und Funktion und sind achtsam auf das, was der Einzelne braucht. Sie berücksichtigen individuelle Bedürfnisse und schaffen Geborgenheit und legen so die Fundamente für das Glück des Einzelnen sowie des Klosters im Ganzen.
Am Anfang steht die Achtsamkeit. Sie ist die Meisterschaft des Wahrnehmens, denn sie baut eine tragfähige und verlässliche Brücke zur Realität. Wer achtsam ist, erkennt, was vorgeht: in sich, in anderen Menschen, in der Gesellschaft, auf dem Markt.
Arbeit
Arbeit wird wieder häufiger als Dienst und gemeinsames Tun aufgefasst. Vor allem aber als Selbstverwirklichung, denn Arbeit soll lebenswert sein, kein seelenloses Geldverdienen. Jederzeit zu realisieren, dass Arbeit ein wesentlicher Teil der menschlichen Existenz ist, in der sich der Mensch entfalten, beweisen und herausfordern lassen will, gehört zu einer guten Führungsarbeit.
Autorität
Autorität ist eine Begabung. Sie gedeiht, wo Menschen dauerhaft durch ihre persönliche Ausstrahlung und Kompetenz überzeugen. Sie ist eine Auszeichnung für Menschen, die anspruchsvoll handeln und sich großmütig verhalten.
Durchdrungen von einer geistigen Haltung: Wer andere zu begeistern vermag, muss keine große Kraft aufwenden, sie zu motivieren. Begeisterung ist wie der Wind, der einem Menschen in die Segel bläst. Mit einem guten Geist im Rücken kommt man mühelos voran. Meisterliche Führungskräfte sind Begeisterer.
Besonnenheit
Zur Besonnenheit gehören ein angemessenes Empfinden und ausbalancierte Gefühle, die ein innerer Kompass für stimmiges Handeln sind. Eine gute Voraussetzung für Besonnenheit ist die Gelassenheit.
Charakter
Das Wort Charakter hat seinen Ursprung im Griechischen und bedeutet Stempel, Muster und Prägung. Personen mit Charakter sind gereifte und gebildete Person mit einer unverwechselbaren Prägung, Eigenart.
Die Kühnheit eines Teams erweist sich in seiner Fähigkeit zur Co-Kreativität. Sie entwickelt sich, wenn die Teammitglieder nicht auf bestimmte Ergebnisse oder Zielvorgaben festgelegt sind. Wer Co-Kreativität entfesseln will, muss dafür zweckfreie Spielräume schaffen.
Dankbarkeit ist eine innere Haltung. Sie lässt den Menschen positiv auf die Welt zugehen und öffnet ihnen die Augen für den Sinn, der allen Dingen innewohnt. Denken ist verschwistert mit Danken – beide können Horizonte öffnen.
Demut
Führen heißt immer auch dienen. Wer zu dienen weiß, ist dienmutig – woraus sich das Wort demütig entwickelt hat. Demut heißt, sich der eigenen Gaben bewusst zu sein und sich ihrer als wert und würdig zu erweisen.
Wer andere führen will, muss eigene Sichtweisen in Frage stellen können. Wer die Fähigkeit zur Distanz besitzt, identifiziert sich nicht mit den eigenen Mustern und Affekten, sondern ist in der Lage, nüchtern die Dinge zu betrachten und über sich hinauszuwachsen.
Disziplin
Wer handelt, gestaltet. Wer wirksam handelt, gestaltet effektiv. Effektivität ist die Kunst, den Hebel des Handelns dort anzusetzen, wo man etwas möglichst mühelos bewegen kann.
Führung erfordert ein kluges Haushalten. Es ist die Kunst, die zur Verfügung stehenden Kräfte so zusammenzufassen, dass mit möglichst wenig Aufwand ein guter Ertrag erzielt wird. Effizientes Arbeiten spart Ressourcen und ist elegant in der Bewegung zum Ziel.
Indianer behaupten, dass man erst dann über einen Menschen etwas sagen kann, wenn man einen Monat lang in seinen Schuhen gelaufen ist: Wenn wir ermessen wollen, was in anderen vorgeht, ist diese Art Einfühlungsvermögen gefragt.
Ein Kennzeichen meisterlicher Führung besteht darin, Entscheidungen zu treffen und das Risiko dafür zu übernehmen. Entscheidungsfreude ist eine Form der Entschlossenheit.
Das Wort Ethik kommt von Ethos, das so viel wie Brauch oder innere Haltung bedeutet. Die Ethik bringt das Ethos zur Sprache, das dem Leben eine Richtung gibt. Die allgemeinste Formel dafür hat Immanuel Kant gefunden: man soll nur das zum Prinzip des eigenen Handelns machen, was als Prinzip für eine allgemeine Gesetzgebung dienen könnte - und daher für alle gilt.
Für die Entwicklung von Unternehmen sind Fehler unverzichtbar. Da man vieles aus Fehlern lernen kann, sollten Führungskräfte eine fehlerfreundliche Unternehmenskultur pflegen und deutlich machen, dass Fehler nicht verheimlicht werden sollten: Sie sind für Experimente und Innovationen die Elemente des Lernens. Ein Unternehmen hat daher veranlasst, den besten Fehler des Jahres zu prämieren.
Die Kunst des Führens gleicht dem Gärtnern: Sie hegt und pflegt das Wachstum, fördert das Erblühen und sorgt für reife Früchte. Sie organisiert das Miteinander und schafft Synergien, bestellt mit Sorgfalt den Boden und versorgt alle mit den erforderlichen Ressourcen. Sie achtet auf klimatische Faktoren, Großwetterlagen und atmosphärische Schwankungen. Führung dient dem Einzelnen wie dem Ganzen.
Führen heißt erneuern. Neues kann nur da gedeihen, wo die Wurzeln tief in die Vergangenheit reichen. Führungskräfte brauchen ein lang zurückreichendes Gedächtnis, damit die Pflege des Andenkens Kraft und Inspiration gibt.
Nichts und niemand ist allein auf der Welt. Jedes Unternehmen ist eingebunden in den Kontext einer Gesellschaft und Teil dieses großen Systems. Unternehmen sind um des eigenen Wohles willen gut beraten, ihr Handeln so auszurichten, dass es der Gesellschaft dient.
Gestalten ist ein kreativer Schaffensprozess, der Objekte, Strukturen, Situationen oder Ideen in eine neue Form überführt. Da alles, was ist, eine Form hat, ist jedes Tun eine Formänderung, ein Gestalten. Daher zielt Führung auf Formveränderung und Gestaltung. Da der Zweck des Führens auf eine Verbesserung des Produkts zielt, auf eine neue ästhetische Erscheinung und Erfahrung, ist das Gestalten eine Optimierung das Gegebenen. So schafft Gestaltung Umstände, in denen Menschen wachsen können.
Globalisierung ist das Zusammenwachsen der Kulturen und Märkte der Welt zu einem einzigen Haus. Das griechische Oikos ist das Bezugswort für Ökonomie und Ökologie. In diesem einen Haus sind ökonomisches und ökologisches Denken und Handeln nicht mehr zu trennen. Dies Wirklichkeit werden zu lassen wird dadurch gelingen, dass der Egoismus zum Vorteil aller überwunden und der Mut zu grenzüberschreitenden Kooperationen aufgebracht wird – ohne dass die lokalen Unterschiede aufgehoben werden.
Glück ist mehr als Spaß oder Wohlgefühl. Glücklich ist, wer sich in einer Situation eins mit dem Ganzen fühlt, und alles um ihn herum bejahen und gutheißen kann. Glück ist ein Einklang rationaler, emotionaler und sozialer Impulse. Eine weise Führung weiß das zu berücksichtigen.
Führung braucht Haltung. Wer Haltung hat, ist wiedererkennbar und entwickelt seinen Stil, weshalb sie ein Zeichen von Charakterstärke ist. Je mehr Haltung jemand hat, desto aufrechter und aufrichtiger geht er durchs Leben – physisch, geistig, emotional.
Einklang und das Zusammenstimmen der Teile eines Systems bedeuten Harmonie. Unternehmen sind dynamische Systeme, deren Bestehen davon abhängt, dass ihre Versuche, mit dem Umfeld in Einklang zu sein, erfolgreich sind. Ein Unternehmen ist deshalb so zu arrangieren, dass jeder Teil seine Stärken zeigen und mit anderen so interagiert kann, dass sich alle Teile zu einem Ganzen fügen. Harmonie ist in der Führungskunst das Maß aller Dinge.
Altes geht, Neues kommt. Das Leben ist immer im Fluss, und Führungskunst besteht darin, im Fluss des Lebens schöpferisch mit zu schwimmen. Das erfordert die Bereitschaft zu Innovationen: neue Wege zu gehen, wenn das Herkömmliche nicht mehr zeitgemäß ist.
Inspiration bedeutet ein-hauchen – in-spirare das lateinische Wort. Dahinter steht die Vorstellung, dass eine Gottheit dem Menschen zündende Einfälle und kreative Ideen eingegeben hat. Man kann das Vermögen zur Inspiration unterstützen, indem Voraussetzungen geschaffen werden, durch die sich Einzelne oder Teams öffnen und sich von der Arbeit berühren lassen.
Man spricht auch von Bauchgefühl und Fingerspitzengefühl. Die Intuition als Gespür und unmittelbares Anschauen bleibt rein, wenn Führungskräfte dafür sorgen, dass auf jede Kreation die Re-Kreation folgt – ein Erfolgsrezept der Nonnen und Mönche.
Führung braucht Klarheit. Bestimmtheit. Konsequenz. Unschärfe und Schwammigkeit führen zu Umwegen und Verzettelungen. Zuweilen erfordert Klarheit Mut, Unangenehmes zu benennen und unliebsame Entscheidungen zu treffen.
Es ist die geistige Ordnung, die ein Kloster, ein modernes Unternehmen und eine lebende Zelle vergleichbar macht. Drei geschlossene ökologische Einheiten, die über unterschiedliche Zugänge für den Kontakt mit dem Umfeld verfügen. Es sind verbindliche Gesetze und Regeln, die im Innern und die nach außen die Kommunikation lenken und dirigieren. Es sind die geregelten Abläufe des Klosters, die Verbindlichkeit einer guten Unternehmenskultur und das hervorragende Zusammenspiel der winzigen Zellen, die ihnen Zukunft geben.
Klugheit ist die Intelligenz in einer Situation. Sie zeigt sich immer da, wo Menschen ohne langes Nachdenken wissen, was das jeweils angemessene Handeln ist. Klug wird man nicht allein durch viel Wissen, sondern Erfahrung und Gespür gehören dazu.
Leben bedeutet Stoffwechsel: Austausch mit der Umwelt, Aneignung des Fremden und Weitergabe des Eigenen. All das fassen wir zusammen unter der Überschrift Kommunikation. Nach innen wie nach außen ist Kommunikation für Unternehmen lebensnotwendig. Sie gelingt, wenn Menschen bereit sind, sich etwas sagen zu lassen – und wenn das, was gesagt wird, klar, verständlich und in angemessener Weise übermittelt wird.
Kompetenz ist das Beherrschen einer Sache und eines Fachgebietes. Sie waltet immer dort, wo Wissen und Können passend auf eine Sache oder ein Fach angewendet werden. Das lateinische Wort petere heißt streben und treffen, com-petere zusammentreffen. Da sich die Dinge der Welt ständig wandeln, müssen Kompetenzen ständig angepasst werden.
Die Denker der Renaissance feiern die Kreativität als Essenz der menschlichen Würde. Zurecht, denn im Reich der Natur gibt es kein anderes Wesen, das über eine vergleichbare gestalterische und schöpferische Fähigkeit verfügt. Nur das menschliche Gehirn vermag neue Kombinationen zu erproben, neue Wege zu beschreiten, neue Perspektiven zu beziehen. Kreativität ist die Quelle jeder Kultur und diejenige Kraft, die Unternehmen das Tor zur Zukunft offenhält.
Konstruktive Kritik ist ein Geschenk und zeugt von hoher Verantwortlichkeit. Denn es gehört Mut dazu, sie an sich heranzulassen. Ebenfalls zeugt es von Verantwortlichkeit das anzusprechen, was nicht gut gelaufen ist und kritisiert zu werden verdient. Anderen mit Wertschätzung zu begegnen bedeutet nicht, sie in Watte zu packen, sondern ihnen in aller Klarheit und Aufrichtigkeit zu begegnen.
Liebe ist bewusste, gefühlte und gelebte Verbundenheit, die in der Wahrheit lebt. Weil auch nachhaltiger Erfolg in der Wahrheit liegt, haben Führungskräfte die Aufgabe, dafür einzutreten, dass die Kultur eines Unternehmens vom Geist der Liebe durchdrungen ist.
Wer eine Mission hat, befriedigt bei dem, was er tut, gleicherweise seine mentalen und spirituellen Bedürfnisse. Er folgt seiner Vision, hat den Egoismus hinter sich gelassen und lebt für etwas Größeres.
Von ihnen können Führungskräfte manches lernen. Sie haben eine Mission, anstatt einen Job zu verrichten und sie folgen der Methode des ora et labora, die ihr geistiges und leibliches Potenzial entfalten. Mönche und Nonnen von Benediktinerklöstern leben nach einer Regel, durch die sie ihre Individualität durch Sozialität weiten. Durch die vereinbarten Verhaltensweisen und Geisteshaltungen trägt jeder einzelne zum guten Gelingen des Ganzen bei. Sie sind die kongenialen Begleiter der Äbte und Äbtissinnen.
Was den Menschen von innen her antreibt, ist seine Motivation. Hergeleitet vom lateinischen Wort movere, das bewegen heißt. Motivation ist der Motor für erfolgreiches Wirtschaften und für gesundes Leben. Daher sollten Führungskräfte Mitarbeitern ein Umfeld bereiten, das sie motiviert, wie ein wohltuendes Ambiente und inspirierende Mitarbeiter.
Unsere Vorfahren verorteten den Mut in der Brust des Menschen – dort, wo das Herz schlägt. In anderen Sprachen heißt Mut deshalb auch courage oder coraggio, hergeleitet vom lateinische cor für Herz. Mutig ist folglich, wer beherzt zupacken kann – wer zulässt, dass ihm etwas so sehr zu Herzen geht, dass er bereit ist, Risiken einzugehen. Mut ist der Adel jeder Führungskraft.
Schon die alten Griechen erkannten in der Nachhaltigkeit die höchste Tugend des Wirtschaftens. Wer in der Verantwortung für ein Unternehmen steht, muss über den Tag hinausdenken und braucht einen weiten Blick. Es ist kein Ausweis von Führungskraft, wenn man an dem Ast sägt, auf dem man sitzt, oder den Brunnen vergiftet, aus dem man trinkt.
Kreativität und Innovation beginnen mit der Offenheit für Anregungen und für Anstöße. Gerade wer sich dem Anstößigen nicht verschließt und für Fremdes aufgeschlossen ist, hat die Chance, entschlossen und beherzt zu handeln. Wer meint, jemand der für alles offen ist, können nicht ganz dicht sein, unterschätzt, wie wichtig es für Führungskräfte ist, ein bisschen Verrücktheit zuzulassen.
Ohne ökologisch zu denken, kann man auf Dauer nicht ökonomisch handeln. Ökologisch denken und handeln bedeutet, der Logik des Oikos – des Hauses – zu folgen. Das mögen eine Pflanze, der Mensch oder ein Unternehmen sein. Diese Logik ist denkbar einfach: Jedes Haus braucht ein inneres und äußeres Gleichgewicht, um bestehen zu können. Deshalb ist Ökologie keine grüne Ideologie, sondern ein Grundprinzip der Existenz.
Ökonomie
Ohne Ökonomie kein Unternehmen. Aber auch kein Leben, denn in ihrem Fundament ist Ökonomie ein Naturgesetz. Ökonomisch handeln bedeutet, den Regeln der Hauswirtschaft, dem oikos zu folgen – was ausgegeben wird, muss wieder hereinkommen. Das erfordert ein durchdachtes und kreatives Handeln.
Zu den wichtigen Erkenntnissen der Neurophysiologie zählt das Wissen um die ungeheure Plastizität des menschlichen Gehirns. Unter der Schädeldecke eines jeden Menschen schlummert ein schier unerschöpfliches Reservat an Möglichkeit, das es uns erlaubt, immer wieder neu anzufangen und schöpferisch tätig zu sein. Ebenso schlummern in uns Fähigkeiten und Begabungen, die uns erblühen und reifen lassen, wenn wir mutig sind, sie zu entfalten. Darin unterstützt die aufmerksame Führung Menschen.
Qualitätsbewusstsein
Qualität hat einen starken Einfluss auf die Entwicklung und auf das Wohlbefinden des Menschen. Gute Qualität wirkt über die Sinnesorgane auf unser Gemüt, erzeugt eine positive Stimmung, motiviert und spornt an. Führungskräfte sind daher gut beraten, ein Qualitätsbewusstsein zu entwickeln und für ein hochwertiges und ästhetisch anspruchsvolles Umfeld zu sorgen, das begeistert und inspiriert.
Regeln sind Vereinbarungen von Menschen, die gemeinsam auf ein Ziel hinwirken. In der Arbeitswelt sind sie unverzichtbar, da sie festlegen, wie die Arbeit gemeinsam bewältigt wird. Weise Führung ist eine Führung unter Regeln.
Respekt
Das lateinische Wort re-spicere bedeutet zurück-schauen, rücksicht-nehmen. Respekt bekunden heißt, auf den anderen schauen und ihn in einer besonderen Weise wahrzunehmen. Früher galt Respekt nicht zufällig den Älteren: Man stammte von ihnen ab, sie besaßen Erfahrung und Wissen, an sie konnte man sich wenden, wenn man Rat suchte. Heute gilt Respekt denen, die sich persönlich einsetzen und Verantwortung übernehmen.
Wer Führungsaufgaben übernimmt, sollte seine Grenzen kennen. Nur dann kann er sich einschätzen und weiß, was er kann. Und nur, wer sich einzuschätzen vermag, ist in der Lage, ein gesundes Selbstvertrauen aufzubauen: eine wichtige Grundlage, um auch die Grenzen anderer zu erkennen.
Der Mensch strebt nach Sinn, da er ohne das Bewusstsein, dass das, was er tut, sinnvoll und bejahenswert ist, nicht leben kann. Führung ist nur dann erfolgreich, wenn sie Menschen Sinnperspektiven öffnet: wenn sie dem Denken, Fühlen und Handeln die Richtung zu einer erstrebenswerten Existenz weist.
Unternehmen sind kollektive Einrichtungen. Man kann sie nicht alleine zum Erfolg führen. Ich-AG hin oder her, immer hat man es mit anderen zu tun. Das Verhältnis zu diesen anderen sollte unerschütterlich und fest (lateinisch solidus) sein – geprägt von Solidarität und Partnerschaft. Das bedeutet: Man steht einander bei und unterstützt sich wechselseitig. Solidarität verbindet Individuum und Gemeinschaft, Unternehmen und Mitarbeiter.
Weil der Mensch kein isoliertes Wesen ist, liegt in seinem Naturell die Sorge. Sorge bedeutet, seine Aufmerksamkeit auf die Menschen und Dinge der Umgebung zu lenken. Ohne sich dabei zu verlieren. Sorge zeigt sich in der Vorsorge, Fürsorge sowie im Besorgen und Entsorgen. Wer es bei der Sorge zur Meisterschaft bringt, verrichtet seine Geschäfte mit Sorgfalt. Eine gute Teamführung kennt Maß und Qualität der angemessenen Sorge.
Souveränität ist die Meisterschaft im Umgang mit Macht. Souveräne Menschen brauchen keine Gewaltinstrumente, um ihren Führungsanspruch durchzusetzen. Sie gehen gelassen und frei mit der Macht um, die ihnen gegeben wird. Sie denken in einem weiten Maßstab, zeigen Großzügigkeit und Verantwortungsbewusstsein. Souveränität ist eine Zierde von Führungskräften.
Gute Führungskräfte wissen, dass Teams prozessorientiert arbeiten und nur ein Ziel haben: das zukunftsfähige Ergebnis. Gute Führungskräfte sind sich bewusst, dass Teams nur gemeinsam gewinnen und bei Erfolg den Teamgeist ohne jede Eitelkeit und ohne Einzelprestige feiern.
Tradition ist die kulturelle Weitergabe von Ideen, Wissen und Können. Sie sind in der Moral – die Sitte und Brauch bedeutet – zusammengefasst, und beziehen sich auf das, was die Menschen einer Kultur schon immer tun. Im Festhalten an der Tradition offenbaren sich Treue und Verlässlichkeit.
Es klingt altmodisch, ist aber trotzdem wahr: Umgangsformen und Manieren machen das Leben leichter. Sie sind das Kondensat jahrhundertelanger Kulturentwicklung. In sie ist viel praktische Weisheit eingeflossen, weshalb Führungskräfte in ihren Umgangsformen vorbildlich sein sollten. Es lernt sich besser durch das gute Beispiel.
Ursprünglich bedeutet Kultur Ackerbau (cultura). Diese Herkunft sollte man mithören, wenn man heute von Unternehmenskultur spricht. Es geht darum, für das geistige und materielle Wachstum ebenso wie für die geistige und materielle Prosperität des Unternehmens den Boden zu bereiten. Voraussetzung für eine konstruktive Unternehmenskultur ist das Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher und ethischer Verantwortung.
Wer Verantwortung übernimmt, verpflichtet sich, mit seiner ganzen Person Antwort auf das zu geben, was ihm als Aufgabe übertragen wurde und wofür er zur Verantwortung gezogen werden kann. Als Führungskraft verantwortlich zu handeln setzt voraus, achtsam dafür zu sein, was einem gesagt wird und wer einen in Anspruch nimmt, um die richtige Antwort darauf zu finden.
Verlässlichkeit meint Verbundenheit, Treue und Aufrichtigkeit. Eine Haltung des guten Umgangs miteinander. Verlässlichkeit und Treue bewähren sich vornehmlich in Krisenzeiten, denn sie sind das Band, das Menschen durch die Zeit hindurch verbindet. Verlässlichkeit ist das Geheimnis der Leichtigkeit in einem Unternehmen.
Man kann andere Menschen nur dann führen, wenn man den Willen aufbringt, sie zu verstehen. Das setzt voraus, sich auf einen anderen Menschen einlassen zu können. Verstehen lässt sich nicht erzwingen, aber im Hin und Her von Rede und Gegenrede öffnet sich ein Raum, in dem sich die Horizonte der Partner nähern und sich Geborgenheit einstellt.
Vertrauen ist das Fundament für jedes Miteinander und bewährt sich darin, dass man sich auf andere verlassen kann. Wenn das der Fall ist, gewährt man ihnen das eigene Vertrauen. Die Quelle des Vertrauens sind Wahrhaftigkeit, Verlässlichkeit und Zuversicht.
Der US-amerikanische Top-Speaker und Dichter David Whyte hält Verwundbarkeit (vulnerabilty) für die wichtigste Qualität von Führungskräften. Nur wer sich der eigenen Verletzlichkeit und Endlichkeit bewusst ist und sich bereithält, andere um Hilfe zu bitten, wird die Souveränität entwickeln, die Führungskräften echte Autorität verleiht.
Eine Vision ist für Menschen und Unternehmen wie ein Leuchtfeuer, das Orientierung gibt und eine Richtung weist. Dabei ist unerheblich, ob die Vision je verwirklicht wird. Wichtig ist, dass sie stark genug leuchtet – überzeugend ist, damit die Menschen motiviert sind und sich auf dem richtigen Weg halten.
Weisheit ist die Meisterschaft des Lebens. Sie kann sich darin zeigen, dass im eigenen Tun der Bauplan der Welt und die Grundregeln des Lebens erkennbar sind. Damit Weisheit entstehen kann, muss sich ein harmonischer Einklang aus Rationalität, Emotionalität und Sozialität einstellen.
Alles ist mit allem verbunden und nichts bleibt folgenlos. Je weiter man über den konkreten Augenblick hinaus in die Zukunft zu blicken vermag, umso mehr wird man in der Lage sein, auf die Komplexität des heutigen und künftigen Lebens angemessen zu reagieren. Weitblickende Führungskräfte verbeißen sich nicht in Details und Kleinigkeiten, sondern richten immer wieder den Blick aus der Enge des Tagesgeschäfts hinein die Weite der zukünftigen Welt.
Alles, was dem Menschen wichtig ist, hat Wert. Daher üben Werte eine große Anziehungskraft auf ihn aus. Zwischen den Menschen sind sie verbindende Elemente, die Sinn und Orientierung geben. Deshalb müssen Führungskräfte sorgsam mit ihnen umgehen und sie klar benennen und definieren.
Führungskräfte brauchen eine solide Kenntnis ihres Arbeitsbereiches: ein hohes Maß an Kompetenz und Expertise und die Fähigkeit, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten. Wissen allein aber macht keine gute Führung, sondern dazu bedarf es auch der Klugheit und des Gespürs.
Was unabhängig aller Zwecksetzung und Begehrlichkeit einen absoluten Wert in sich trägt, verfügt über Würde: wie Tiere, Pflanzen und Menschen. Ihre Würde verbietet es, sie als Objekte zu gebrauchen. Die Würde des Menschen fordert, in ihnen immer – wenigstens auch – eine Person zu sehen, deren Wert unabhängig von ihrer Nützlichkeit und Leistungsfähigkeit ist.
Zuhören ist die Quelle allen verantwortlichen Handelns. Nur eine Führungskraft, die ein offenes Ohr hat und achtsam ist, weiß, worauf sie reagieren muss. Das aufmerksame Ohr als Verbindung zum Umfeld gibt einer Führungskraft die Autorität zur Führung.
In der Gegenwart – die nur Sekunden dauert – ist bereits ein Stück Zukunft enthalten. Man kann träumend in die Zukunft fliegen, aber auch mit Prognosen versuchen, Unternehmen für die Zukunft zu rüsten. Das meiste sei noch nicht getan, sagt Ingvar Kamprad, „wunderbare Zukunft“.
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