Doris Paschiller und Hajo Eickhoff
aus: Jeroen Teunen, Draw me a Terrorist, Geisenheim 2007
Ist die Bitte an jemanden, einen Terroristen zu zeichnen, nicht eine Provokation mit einer impliziten Botschaft? Der Botschaft etwa, Terrorismus sei ein Alltagsphänomen, das allenthalben in Erscheinung tritt und sich deswegen auch ohne weiteres – fast ohne Skrupel – präsentieren lässt? Heißt es nicht, irgendjemanden zu zeichnen aus dem Reservoir gewalttätiger Menschen, der einem gerade in den Sinn und in die Feder kommt? Denn Gewalt ist in der Welt. Und weil Terror Gewalt ist, können dem Bewusstsein anhand dieser Zeichenaufgabe vielerlei Formen von Gewalt erscheinen.
Der Terrorismus entfacht in der globalisierten Welt eine Kontroverse um die Schuld, die die westlichen Gesellschaften infolge ihrer Macht, ihres politischen Einflusses und ihrer Gewalttätigkeit zum Beispiel in Kolonialkriegen angesammelt haben. An Stammtischen werden gerne die Todesopfer der Terroristen des 11. September 2001 von New York gegen die Kriegsopfer der westlichen Welt – vor allem der USA – aufgerechnet. Intellektuell wird gerne das Symbolische des 11. September herausgestellt, aber der Tod ist kein Symbol. Ebenso wenig stellen Tote und Verwundete Symbole dar. In solchen Formen der Verarbeitung bleibt etwas Wesentliches auf der Stre>
Das Projekt Draw me a Terrorist legt nahe, sich mit den Themen Macht und Gewalt zu beschäftigen. Denn schauen wir etwas deutlicher hin, blicken wir auf eine Menschheitsgeschichte, die überwiegend eine Gewaltgeschichte ist. Die Frage nach der Gewalt ist eine der schwierigsten Fragen, die sich der Mensch stellen kann, denn sie rührt an einen verborgenen Grund des Menschen selbst und an die Basis der Gemeinschaft. Zugleich kommt in der Frage nach der Gewalt und dem gegenwärtigen Terrorismus die Komplexität und die Verwicklung der Weltpolitik zum Ausdruck. Gewalt, Macht und politischer Einfluss weisen eine lange Geschichte auf und haben sich seit dem Prozess der Sesshaftwerdung und dem Besetzen eines Territoriums potenziert: Es ist der Krieg, der die Territorien gliedert.
Thomas Hobbes zufolge ist der Mensch im Naturzustand geleitet von Selbsterhaltung und Machtstreben, weshalb erst die Gründung eines Staates und der Einsatz einer vertraglich eingesetzten Macht dem „Krieg aller gegen alle“ ein Ende bereite. Dagegen war für den preußischen Militärstrategen Carl von Clausewitz Krieg „die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“. Der französische Philosoph Michel Foucault stellt den Satz von Clausewitz auf den Kopf und gibt der Idee von Hobbes eine moderne Fassung: Krieg sei die Basis der Nationalstaaten. Mit ihrer Gründung habe sich die Gewalt, die das gesellschaftliche Geschehen im Innern als Kampf der Stände, als Religionskrieg, als Kampf des Mannes gegen die Frau und als beständige Raubüberfälle bestimmte, an die Peripherie, die Grenzen des Staates, verlagert. Dafür erhält die Gemeinschaft als Staat im Innern eine neue Gewaltform – sei sie Demokratie, Diktatur, Monarchie oder Republik.
Die Grundlage für die Gewalt an den Grenzen bildet das Militär. Zum einen hat sich der Staat mit der Institution des Militärs das Monopol auf Gewalt gesichert, andererseits haben Staaten und Staatengemeinschaften für die Ausübung der Gewalt – nach innen und außen – Spielregeln aufgestellt.
Seit dem Ende des Mittelalters haben die Menschen nicht nur Nationalstaaten gegründet, sondern zwischen ihnen auch ein Völkerrecht etabliert, das Rechte und Pflichten des Miteinander der Völker regelt. In ihnen werden Menschenrechte, Fragen der Abrüstung, das Kriegs- und Friedensrecht sowie die Friedenssicherung behandelt. Das Grundprinzip des Völkerrechts sind Gleichheit und Souveränität aller Staaten. Auch diese Gesetze gehen Foucault zufolge aus dem Krieg hervor. Damit die Menschen in Zeiten des Krieges nicht unnötig roh und grausam sind, haben sich die Staaten ein Kriegsrecht auferlegt: Die Zivilbevölkerung, Verwundete und Sanitäter sind zu schonen und Kriegsgefangene und Spione fair zu behandeln. Der Einsatz besonders grausamer Kampfmittel ist verboten und der Schutz von Kulturgütern zu gewährleisten. Das Kriegsrecht soll die Eskalation der Gewalt in Kriegszeiten verhindern: Kriegshandlungen sollen weder zu Massakern, Gräueln, Demütigungen, Vergewaltigungen noch zu Völkermord verleiten. Die Kriegsgeschichte hat jedoch gezeigt, dass solche Gebote nur wenig Wirkung zeigen, weil die Rücksichtnahme dem Zweck der Kriegshandlung meist entgegensteht. Es ist gerade dieses Kriegsrecht des Völkerrechts, das die islamistischen Terroristen missachten, denn gerade dadurch bereiten sie Angst und Schrecken. Terroristische Anschläge sind unerklärte und ungeregelte Kriege.
Wie Gewalt ist Terror in der Welt. Terrorismus definiert sich von der dunklen Seite des Lebens her – vom Tod. Der niederländische Regisseur Theo van Gogh wurde von einem Islamisten getötet, der eine mehrseitige, in Niederländisch und Arabisch verfasste Botschaft am Tatort zurückließ, in der zu lesen war: „Es wird keine Gnade geben für die, die Unrecht tun, nur das Schwert wird gegen sie erhoben. Keine Diskussionen, keine Demonstrationen, keine Aufmärsche, keine Petitionen: Nur der Tod wird die Wahrheit von der Lüge trennen.“ Der Terrorismus verbreitet Schrecken durch das willkürliche Verunsichern und Töten. Wobei der Tod eine an Gleichgültigkeit grenzende Willkür bedeutet.
Seit dem 11. September 2001 ist der islamistische Terrorismus in den Diskurs eingetreten. In den 90er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts hat er sich globalisiert und sich mit der Zerstörung des World Trade Center Einlass ins öffentliche Bewusstsein verschafft. Er ist zu einem Thema der Philosophie geworden – alle maßgeblichen Denker haben sich dazu geäußert.
Mit dem Eintritt – insbesondere der Terrororganisation al-Qaida – in den gesellschaftlichen Diskurs treten andere Terrorgruppen wie die RAF, die ETA oder die IRA aus ihm aus. Ihre Zeit ist vorbei. Der Untergrundkampf, finanziert durch Banküberfälle, ist nicht mehr aktuell. Auch nicht mehr zeitgemäß ist das ungeschriebene Gesetz, an das sich zum Beispiel die paramilitärische Organisation RAF bei ihren Anschlägen hielt, nämlich Zivilisten zu verschonen. Ihre Mitglieder handelten nach einem Kriegsrecht, so wie sie glaubten, sich in einem Krieg zu befinden. Das erhält ihnen bis heute bei vielen die Aura des Widerstandes.
Terroristen sind Fundamentalisten. Sie wähnen sich als einzige im Besitz der alleingültigen (reinen) politischen Idee, der einzigen (reinen) Lesart ihres heiligen Buches und des einzig wahrhaften (reinen) Wissens. In der Reinheit ihrer absoluten Anschauung liegt ihr Fundament. Die Durchmischung der Ethnien und Religionen, der Dialog mit Anderen und die Berührung mit Fremden, lehnen sie ab – sie machen ihnen Angst oder stimmen nicht überein mit ihren Absichten. Klaus Theweleit schreibt, überall auf der Welt „sieht man die öffentliche Gewalt und Kriegsbereitschaft zurückgehen, wo verschiedene Bevölkerungen und Lebensweisen sich mischen; der künstliche Hass der Abgegrenzten aufeinander nimmt ab, das ist die Natur städtischer Mischentwicklung“. Dialog, Durchmischung und Kommunikation mache den Menschen friedlicher.
Der aktuelle Terrorismus verschont niemanden. Seine Unberechenbarkeit ist absolut und seine Tod bringenden Mittel durchkreuzen prinzipiell das Leben, weil Leben in Vertrauen und Ordnung, in Verlässlichkeit und Geborgenheit gründet. Terror macht die Antworten auf die Fragen „Warum jetzt?“, „Warum hier?“, „Warum diese Mittel?“ und „Warum diese Menschen?“ nutzlos – es kann jeden, an jedem Ort und zu jeder Zeit treffen.
Man sollte sich über den Charakter des modernen Terrorismus nicht täuschen. Seine Mitglieder sind keine modernen Helden. Sie sind militärisch organisiert, verfügen über eine beachtliche Logistik, sind strukturiert wie moderne Unternehmen und nutzen jede Chance, ihr Angebot auszuweiten – so wie man in Bezug auf Verschleppung und Entführungen bereits von Entführungsindustrie spricht. In Bezug auf die Modernität unterscheiden sie sich nur wenig von denen, die sie wegen dieser Modernität angreifen. Al-Qaida ist die erste „multinationale Terrororganisation“, ein modernes Unternehmen, das sich wie andere Unternehmen globalisiert – mit seiner Netzwerk-Struktur und seinen globalen Operationen. „Mit dem Kapital“, sagt der Londoner Wirtschaftswissenschaftler John Gray, „ist auch das Verbrechen global geworden.“ Er nennt al-Qaida einen „globalen Multi“ und der Publizist und Sicherheitsberater Berndt Georg Thamm zitiert den BND, der von al-Qaida als einem Franchising-Unternehmen spricht. Dabei bietet der Franchisegeber al-Qaida weltweit Dienstleistungen wie paramilitärische Ausbildung, Waffen, Kontaktvermittlung, Finanzhilfe und Logistik an. Auf den Aktivitäten der Franchisenehmer darf dann die Marke al-Qaida stehen.
Die Kämpfer von al-Qaida und ähnlich ausgerichteten Gruppen nutzen Satellitentelefone, Computer, schicken Informationen verschlüsselt durch das Internet, sind in zellenartigen Strukturen organisiert wie Drogenkartelle und arbeiten in flachen Hierarchien wie virtuell zusammengeschlossene Unternehmen. Ihre Anschläge führen sie als „kleine Kriege“ – als Partisanen- und Guerillakriege. Die Organisationsstruktur der neueren Generation von Terroristen entspricht der Ordnung des Internet: Sie bilden virtuelle Gruppen aus, ohne dass ein Zentrum oder bedeutungsvolle Orte von Nöten wäre – die Zellen der Selbstmordattentäter können sich überall selbsttätig formieren und aktivieren. Wiederum zeigt sich eine Parallele zur von Saskia Sassen beschriebenen Entwicklung der globalen Wirtschaft, die nicht mehr an zentrale Orte gebunden ist, sondern überall sein kann.
Wie die Sprengung der Buddha-Statuen in Bamyan zeigt, richtet sich der radikale Islamismus prinzipiell gegen alles, was anders ist – hier gegen eine andere Religion. Er richtet sich zugleich gegen die jüdische, christliche, hinduistische Religion sowie gegen magische Stammesreligionen. Ebenso gründet der Konflikt des Islam in der Diskrepanz zwischen Modernität und patriarchaler Strukturen muslimischer Staaten – dem Abwehren der Freiheiten, die westliche Frauen praktizieren und die in der Zeit der Globalisierung und der Telemedien einen Anreiz auch für muslimische Frauen sein oder werden könnten. Daher ist der Islam von innen her bedroht. Das gilt ebenso für die unterschiedlichen religiösen Vorstellungen von Schiiten und Sunniten. Der radikale Islamismus speist sich vor allem aus den Reihen der saudiarabischen Sunniten, die paradoxerweise eng an das Öl und das westliche Geld (Petrodollars) gebunden sind. So zeigt sich, dass die Hauptlinie des Konflikts für den radikalen Islamismus zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen verläuft – die Nichtgläubigen sind zum Islamismus die gesamte übrige Welt. Sein Motiv ist weder eine Rache am Westen noch eine bloße Antwort auf dessen Macht, und die Beharrlichkeit und Zähigkeit etwa von al-Qaida gründet nicht im Konflikt zwischen Orient und Okzident, zwischen muslimischen Staaten und den USA, zwischen Islam und christlich-jüdischer Religion oder zwischen Modernität und Traditionalismus, sondern entspringt dem eigenen Machtstreben.
Al-Qaida ist entstanden mit dem Konflikt der beiden politischen Blöcke Sowjetunion und USA. Beim Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan haben sich die China, USA, England, Saudi-Arabien und Pakistan auf die Seite Afghanistans geschlagen und – inoffiziell – die aufständischen Kräfte unterstützt: die Taliban und die Gefolgsleute von bin Laden und Azzam, dem Chefideologen von al-Qaida. Und wie das Beispiel zeigt, instrumentalisierten westliche Länder Terroristen für sich. Aus ökonomischem und ideologischem Interesse unterstützten die USA vor dem Zusammenbruch des Ostblocks in besonderen Regionen Befreiungsbewegungen und Separatisten, um kommunistische und nicht-demokratische Regimes zu bekämpfen und zu destabilisieren.
Hier nun scheint sich der Kreis von Gewalt, Macht und Krieg zu schließen. Ähnlich wie die Islamisten haben auch die USA ein Sendungsbewusstsein und betrachten sich als Verkörperung allgemeiner, grundsätzlicher Werte und als einzig mögliches Staatsmodell. Hierin tendieren die Repräsentanten der USA zum Fundamentalismus. Und da sie die einzige verbliebene Großmacht sind, können sie sich jeglicher Kontrolle entziehen. Auf der anderen Seite stehen die Netzwerke des Terrors, die wie moderne Unternehmen strukturiert sind, auf einer noch anderen Seite die Unterstützung der Terroristen durch die USA gegen die ehemalige Sowjetunion zur Destabilisierung bestimmter Regionen. Eine weitere Seite ist die Verschränkung von mafiösen, verbrecherischen Strukturen, Terrorismus und moderner Wirtschaft.
Das Irritierende dieser Gewaltformen und der Vermengung von Gewalt wird in der Kunst, einen Terroristen zu zeichnen, zur unterschwelligen, motivierenden Emotion. Im Projekt Draw me a Terrorist sind Gewalt und Bosheit meist mit Wut, aber auch mit Trauer und Erschrecken ausgedrückt – eben mit der Vielfalt von Verarbeitungsmöglichkeiten. Die Arbeiten sind ernsthaft oder satirisch, tendenziös oder sarkastisch, ironisch oder sachlich. Sie zeigen auch die Schwierigkeit, böse zu sein und entsprechend die Schwierigkeit, das Böse auszudrücken – wie Berthold Brecht es im Gedicht Die Maske des Bösen sagt: „An meiner Wand hängt ein japanisches Holzwerk, Maske eines bösen Dämons, bemalt mit Goldlack. Mitfühlend sehe ich die geschwollenen Stirnadern, andeutend wie anstrengend es ist, böse zu sein.“
Der Terrorist wird allgemein dargestellt als Phantom und Fratze, als fremd gesteuertes und Schrecken verbreitendes Wesen; er taucht auf als Machthaber wie Blair, Chatami, Li Peng, Bush und bin Laden; er wird dargestellt als Hitler, Bush und Sharon; der Terrorist ist als Symbol der Vereinigten Staaten von Amerika wiedergegeben; er tritt auf als Christ und Papst, erscheint aber auch allgemein als von Gott Gesandter; er wird abgebildet als Träger der Symbole von Islamisten; und er erscheint allgemein als Pein und Last, dargestellt durch einzelne Phänomene wie Flöhe, nicht stubenreine Katzen, Sexversessene oder Viren. Der Terrorist ist als unfassbares, aber doch bestimmtes Wesen vorgestellt, terroristisch und doch mit einem Ausdruck von Trauer.
Die Irritation zeigt sich in den Arbeiten als Weite der thematischen Möglichkeiten von der Monumentalität des Bösen bis zur Hoffnung auf Frieden, die nicht ausgelöscht ist. Sie ist spürbar in den verschlungenen Linien, den Verbergungen und Entbergungen, dem Schimmer der Ratlosigkeit, dem Schatten des Politischen, dem Sog der Wut, der Bedeutsamkeit der Kunst. All das versammelt sich in den Objekten der Mail-Art von Draw me a Terrorist.
© Doris Paschiller, Hajo Eickhoff 2007
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