Mensch & Büro II
Mensch & Büro III
Kontor, Büro der Renaissance im Frerien
Aus: Mensch & Büro. Das Trendmagazin für den Lebensraum Büro,
Heft 8, 2008.
Das größte Unglück der Menschen rührt
allein daher, dass sie nicht ruhig in einem
Zimmer bleiben können. Blaise Pascal
In der Renaissance formte sich mit der Entstehung des Bürertums die Idee des modernen Büros heraus.Orte der Büroarbeit waren meist informell und öffentlich. Die Etablierung eines fest gefügten Tisches und eines Bürostuhls erforderte von den Menschen, die es bis dahin gewohnt werden, im Stehen und Gehen zu arbeiten, Sitzdisziplin.
Das Büro entsteht im Kloster zur Herstellung von Büchern, die das antike Kulturgut bewahren und die christliche Idee verbreiten. Aus diesen klösterlichen Skriptorien, den Kontoren der Hansekaufleute und den mittelalterlichen Kanzleien entwickeln die Bürger in der Renaissance die Idee des modernen Büros. Die Idee festigt sich in der Epoche der Aufklärung, realisiert sich aber erst in der Zeit der Industrialisierung.
Ein Kulturumbruch – die Renaissance
Die Renaissance ist eine Epoche des Kulturumbruchs. Der Renaissancemensch gewinnt ein neues Lebensgefühl, erneuert sein Denken und Verhalten, modifiziert seinen Glauben, entwickelt neue Lebensformen und entwirft eine neue Gesellschaft. Er definiert sich neu und sucht für sein gewandeltes Leben neue Ausdrucksmittel und für seine Arbeit geeignete Raumformen.
Die bürgerliche Arbeitswelt – Handel, Handwerk, Bildung
Der Umbruch ist Ausdruck der gewachsenen wirtschaftlichen und politischen Macht des Bürgertums, das in den Städten die herrschende Klasse ist. Bürger begreifen sich als Wesen, die die Welt erkennen und aktiv gestalten. Die Kaufleute machen den Handel international, Handwerker heben die Begrenzungen durch die Zünfte auf und verdichten das Handwerk zur Manufakturarbeit, während Geistesarbeiter Bildungseinrichtungen entwickeln und Handel, Handwerk und Wissenschaft durch die Büroarbeit zu einer produktiven Einheit zusammenfassen. Arbeit und Wissen wachsen zusammen, etablieren neue Berufe und berufliche Einrichtungen und unterwerfen den Menschen einer rationalen Lebensplanung.
Da der Fernhandel Risiken birgt, entstehen Versicherungen, und da die Projekte größer werden, werden Finanzierungen durch Banken erforderlich. Das moderne Leben macht Planung, Kalkulation, Fremdfinanzierung und Absicherung erforderlich, das zu einem Anwachsen von Gesetzen und Verträgen führt, mit dem Resultat, dass der Papierbedarf und der Schriftverkehr enorm zunehmen – die Ursachen für die Entwicklung des modernen Büros.
Papier und Buchdruck beschleunigen die Büroentwicklung
Um die neuen Aufgaben bewältigen zu können, haben sich parallel zur Entwicklung der Tätigkeiten neue Werkzeuge und neue Formen des Organisierens und Ordnens ausgebildet. Im 13. Jahrhundert wird die Papierherstellung von den Chinesen übernommen – Schreibgrund sind bis dahin Papyrus und Pergament – und zweihundert Jahre später erfindet Johann Gutenberg den Buchdruck. Der kanadische Medienforscher Marshall McLuhan hat 1968 in seinem Buch Die Gutenberg-Galaxis beschrieben, wie grundlegend die Verwendung von Papier und der Buchdruck die Welt infolge der durch sie beschleunigten Bildung verändert hat. Diese Veränderungen haben in der Renaissance zu neuen Büroaufgaben geführt.
Die Büroarbeit im provisorischen Büro
Im Gegensatz zum mittelalterlichen Skriptorium wird im neuen Büro bilanziert und gerechnet, gelesen und kopiert, geplant und gewogen, kalkuliert und archiviert. Neben die alten Arbeitsmittel wie Tinte, Radiergummi, Feder, Pergament oder Papyrus, Farbe, Nagel und Hammer treten Bilanzbuch, Rechenbrett, Waage und Mobiliar.
Zwar sind Skriptorium, Hansekontor und mittelalterliche Kanzlei Vorbilder für das moderne Büro, doch geeignete, den Tätigkeiten angepasste Räume gibt es noch nicht, denn auch die drei Vorbilder sind räumlich unspezifisch und erfüllen sehr unterschiedliche Funktionen: Sie können Privatraum, Salon, Schreibstube, Warenlager oder öffentlicher Ort sein. Das ist der Gang der Geschichte: Erst ist die Tätigkeit da, dann entwickeln sich entsprechende Raumstrukturen. Oft findet die moderne Büroarbeit in ihrem Beginn noch auf informellen Plätzen statt – das sind öffentliche Orte wie Markplätze, Theater und Kirchen. Das frühe Büro ist vorübergehend, improvisiert und entsteht dort, wo sich mindestens zwei Menschen zu einem geschäftlichen Gespräch einfinden. Beliebige Orte, ausgestattet mit liniertem Tisch, Rechensteinen und Bank. Alle anderen Anordnungen ergeben sich zufällig aus den Formen der vorhandenen Architektur – wie die Fenstersimse als Ablage.
Im Skriptorium standen Mönche ebenso wie Kaufleute im Kontor und Beamte in der Kanzlei. Stehen und Gehen waren die Körperhaltungen bei der Arbeit. Noch bis ins 19. Und 20. Jahrhundert war es üblich, dass den Büros Fachkräfte vorstanden – die Vorsteher. Sie standen am Stehpuhlt, hießen aber auch noch Vorsteher, als sie bereits saßen. Kontor- und Kanzleiarbeit war eine körperlich bewegte Tätigkeit.
Das moderne Büro ist ein Schnittpunkt sozialer, wissenschaftlicher, technischer und wirtschaftlicher Strebungen. Es bindet den Menschen fest an einen Ort – den Tisch. Ein Ort erhöhter Disziplin, da der Tisch zum zentralen Möbel wird und den Bewegungsdrang des Menschen bremst. Aber Tische erfordern nicht nur Disziplin, sondern disziplinieren auch den Büroarbeiter.
Im Zusammenhang mit dem Bilanzieren, Wägen und Rechnen wird aus dem transportablen Rechenbrett und dem Tisch auf zwei Böcken der Kontor-Tisch entwickelt. Den festgefügten Tisch – ein Gestell, dessen Platte fest mit dem Untergestell verbunden ist – gibt es erst seit der Renaissance.
Auf dem Tisch spielt sich die gesamte Büroarbeit ab. Auf ihm bilanzieren, kalkulieren und kopieren die Büroarbeiter und auf ihm wiegen sie Münzen. Ebenso dient er als Mitte der Begegnung und als Ort der Vertragsabschlüsse.
Auch der Stuhl ist eine Erfindung der Renaissance. Bis dahin sind stuhlartige Objekte Throne. Herrschersitze, die allein Königen gebühren. Später entstehen Bischofsthrone und geweihte Chorgestühle. Mit der Aufwertung der bürgerlichen Klasse nehmen sich die Bürger das Recht, die Haltung thronender Herrscher zu imitierten und die geweihten Sitze zum alltäglichen Mobiliar zu machen und das Sitzen in die Berufswelt einzuführen. Der Thron wandelt sich zum profanen Berufsstuhl.
Langfristig entwickelt sich das Büro zum Ort, der den Menschen vom Steher zum Sitzer umwandelt. Idealerweise soll Büroarbeit in einer starren, rationalen und zweimal rechtwinklig abgeknickten Körperhaltung stattfinden. Dass bedeutet, dass Büroarbeit als Tätigkeit gedacht wird, in der der Mensch sich unbeweglich halten und keine Körperkraft verausgaben soll. In der Reduktion der physischen Verausgabung soll sich der sitzende Büroarbeiter auf geistige Vorgänge des Organisierens und Ordnens konzentrieren – auf Rechnen und Lesen, Ordnen, Bilanzieren und Archivieren. Das Sitzen am Tisch erweist sich als größte Produktivkraft, die der Mensch je erfand.
Widerstand gegen die Büro-Disziplin
Zum modernen Büro gehören geeignete Werkzeuge, Tätigkeiten und Räume. Doch auch Menschen mit der Fähigkeit, die Disziplin der Büroarbeit aufzubringen. Doch der Renaissancemensch ist nur bedingt in der Lage, sich über längere Zeit ohne frische Luft und ausreichende Bewegung an einem Ort aufzuhalten. Die innere Ruhe und Bereitschaft sowie die Disziplin muss er erst erworben: In der Geschichte des Büros kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Bürovorstehern und Büroarbeitern, weil die Angestellten spazieren gehen und sich vorübergehend anderen Dingen widmen. Interessanterweise erzeugt gerade die Büroarbeit die Disziplin, die sie erfordert. Die Fähigkeit, an einem Ort in Ruhe verharren und konzentriert arbeiten zu können muss als eine hohe Kulturleistung des Menschen angesehen werden.
Tisch und Stuhl arrangieren erstmals einen Ort, der von seiner Struktur her geeignet ist, ein Büro entstehen zu lassen. Der Sitzplatz am Tisch ist die Struktur des modernen Büros, denn Tisch und Stuhl haben das Vermögen, einen Raum aufzubauen, der zum gegenwärtigen Büro führt. Das moderne Büro ist das Versammelnde – es versammelt die unterschiedlichen Tätigkeiten des modernen Menschen. Einerseits versammelt es Menschen, andererseits Werkzeuge und Tätigkeiten, die es zu einer produktiven Einheit formt, indem es die Produktivität der Gesellschaft erhöht und Bedingungen für die moderne, technische Welt schafft.
Und es formt den Menschen, der sich an diesem Ort zum Gestalter einer Gesellschaft ausbildet, die schließlich in der Erfolgsgeschichte Europas mündet.
© Hajo Eickhoff 2008
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