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aus: Form : Ethik. Ein Bevier für Gestalter, München 2007




Kleine Geschichte der abendländischen Ethik



Die abendländische Philosophie beginnt auf der Agora, auf dem Marktplatz von Athen, als Ethik. Dort vermittelte der Philosoph Sokrates in Gesprächen, was das Gute, Schöne und Wahre ist. Er geht davon aus, dass Tugend – Tüchtigkeit und gutes Verhalten – lehrbar sei. Seine Philosophie handelt vom guten Leben und vom rechten Verhalten in der Gemeinschaft. 

Da die Griechen Enthusiasten des Wettstreits waren, bildeten sie Schulen, die auf unterschiedlichen Wegen das Denken des Sokrates fortführten: Es entstanden die Akademie des Platon, der Peripatos des Aristoteles, die hedonistische Schule des Epikur, die Stoa des Zenon oder die Schule der Kyniker. Jede Schule bildete Lehrmeinungen aus und verteidigte sie im Wettstreit gegen andere. In seinen Werken hat Platon die Gedanken des Sokrates bewahrt.

 

Platon zufolge ist die Voraussetzung für das ethische, gerechte Verhalten das Erkennen des Rechten und Guten, denn die Idee des Guten ist die höchste aller Ideen. Aus dieser Idee leitet er seine Ethik ab. Man benötigt also ein Wissen, um beurteilen zu können, welches Handeln in einer Situation gerecht ist. Das Motiv für ethisches Verhalten kann nur um seiner selbst willen vollzogen werden, nicht aufgrund eigener Vorteile. Der ethisch Gerechte sei auch der Weise. Platons berühmte Kardinaltugenden sind Weisheit, Tapferkeit, Besonnenheit und Gerechtigkeit.

Aristoteles etabliert die Ethik als eigenständige philosophische Disziplin. In der Nikomachischen Ethik untersucht er die Sitten und Gebräuche, die Institutionen und Gewohnheiten der griechischen Gesellschaft und leitet aus ihnen ein Regelwerk für das Verhalten ab – die Ethik. Er definiert den vernunftbegabten und mit Freiheit ausgestatteten Menschen als zoon politicon, als politisches, soziales Wesen. Zum Streben nach persönlichem Glück gehöre die Arbeit an der eigenen Tugendhaftigkeit und dem sozialen Engagement. Zur Tugend könne der Mensch erzogen werden. Ethik schaffe eine Balance zwischen Individuum und Gemeinschaft und vollendete Tugend führe zum höchsten Glück. 

Epikur sieht das Glück in der Lust. Sein Hedonismus liegt im Erwerb einer heiteren Ruhe und Gelassenheit, der Ataraxie, die er „Meeresstille des Gemüts“ nennt. Lust ist der Einklang geistiger und körperlicher Tätigkeit. Man soll den Schmerz meiden und sich durch Selbstbeherrschung von Ängsten befreien.

Zenon von Kition begründete die Philosophie der Stoa – den Stoizismus. Eine Entgegnung auf Epikur. Zwar streben auch Stoiker nach der Ruhe, der stoischen Ruhe, aber sie messen der Fähigkeit, Leid zu ertragen und unempfindlich zu sein, einen hohen Wert bei. Der römische Kaiser und stoische Philosoph Marc Aurel legt den Akzent auf die Pflichterfüllung als Dienst am Menschen. Zur inneren Ruhe führe nur ein moralisches Leben – die Beherrschung der Triebe, der Dienst am anderen und Bedürfnislosigkeit. In seinen ethischen Selbstbetrachtungen plädiert er für eine Ethik der Uneigennützigkeit und der Selbstvervollkommnung. Als Kaiser veranlasste er eine sozial gerechte Politik.

Die mittelalterliche Ethik ist christlich ausgerichtet. Sie steht im Dienst des Glaubens und hat die Aufgabe, die animalischen Anteile der menschlichen Natur zu überwinden. Die Kirche erweiterte die platonischen Kardinaltugenden durch Liebe, Glaube und Hoffnung. Die Liebe anderen gegenüber ist ein neues ethisches Element – in die Welt getragen durch Christus.

Mit der Renaissance wird der Vorrang der religiösen Begründung in der Ethik nicht mehr allein auf Götter und den Kosmos, sondern erweitert auf den Menschen und seine Freiheit und Vernunft. In der Zeit etablieren sich zwei Grundarten der Ethik als Maßstab verantwortlichen Handelns: die Nützlichkeitsethik (Utilitarismus) und die Pflichtethik (Deontik).

 

Der Utilitarismus von Jeremy Bentham setzt als Ziel menschlichen Strebens die Glückseligkeit. Was dazu beiträgt, sei ethisch gut. Ihr höchster Wert liege im glücklichen Wohlergehen des einzelnen und der Gemeinschaft. Ziel sei das Glück für die größtmögliche Anzahl Menschen. Der Utilitarismus ist eine Ethik aus der Perspektive des bürgerlichen Staates.

Eine Ethik aus der Perspektive des bürgerlichen Individuums ist die Pflichtethik von Immanuel Kant. Im Zentrum steht die Würde des Menschen. Sie kommt ihm allein deshalb zu, weil er vernunftbegabt und frei ist. So konnte Kants Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ Teil der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte werden. Kant zufolge darf der mit Vernunft und Freiheit ausgestattete Mensch nur als Zweck, nicht als Mittel behandelt werden. Dass er frei ist, bedeutet nicht, dass er lassen und tun darf, was ihm gefällt, sondern dass er sich Gesetzen unterwirft, die er selbst aufgestellt hat. Kants kategorischer Satz lautet: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als auch in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ Der Mensch muss sein individuelles Handeln daraufhin prüfen, ob es einem allgemeingültigen Gesetz folgt, dem sich jeder als Pflicht unterwerfen können soll. Mit seiner Ethik formulierte Kant bereits die Möglichkeit einer Ethik für alle Bürger: eine Welt­ethik für Weltbürger.

Selbst der Immoralist Friedrich Nietzsche hat seinem Leben eine kleine Ethik zugrunde gelegt. Sein Beispiel zeigt, dass der Mensch trotz starker Abneigung gegen alles Moralische – insbesondere in seiner schriftlichen Fixierung – in der Lebenspraxis kleine Verhaltensregeln nötig hat. Nietzsches Minimalmoral lautet: Ein gegebenes Versprechen ist unbedingt einzuhalten.

Mit der Anerkennung der Evolutionstheorie werden ethische Grundsätze endgültig außerhalb religiöser Zusammenhänge, also innerweltlich, vom Menschen her abgeleitet. Die moderne Ethik versucht, sich allein auf die Vernunft zu stützen, nicht auf Religion, Ideologie, Vorurteil und Tradition. Als bewusstes Weitergeben von vernünftigen, begründeten sittlichen Verhaltensweisen und kulturellen Fertigkeiten ist Ethik eine hohe Kulturleistung. Die Gleichheit aller vor dem Gesetz, Toleranz, Menschenwürde und Abwesenheit von Zwang sind grundlegende Ideen der modernen Ethik. Sie möchte allgemein – für alle Menschen – gelten, ist aber entstanden als europäische Ethik. Der Begriff Weltethik stammt von Hans Küng. Er bezeichnet den kleinsten gemeinsamen ethischen Nenner der Welt- oder Erdgemeinschaft. Zwischen einer Weltethik und den Moralvorstellungen der verschiedenen Weltregionen bestehe kein Gegensatz.

 


© Hajo Eickhoff 2007

 





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