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Doris Paschiller und Hajo Eickhoff

aus: Saskia Wenzel. Figur und Landschaft und Stillleben, Berlin 2008

Hrsg. von Artinflow, Büro für Kunst und Verlag, Ulrike Oppelt



Verborgene Tischleben

Die Stillleben der Malerin Saskia Wenzel

 

 

Ein Bund Spargel, ein Rosenbukett

genügt für ein Meisterwerk.

Max Liebermann

Stillleben und Tischleben


Stillleben

und

Tischleben



Stillleben sind Tischleben. Sind Leben auf dem Tisch. Das Leben auf dem Tisch heißt Ordnung, Disziplin und Produktivität. Im Alltag ist es der Tisch, der Ordnung herstellt, in der Stillleben-Malerei der Künstler, der Ordnung schafft.

 

Der moderne Mensch lebt in einer dualen Welt aus Natur und Kultur. In dem von Natur aus Gegebenen und in dem vom Menschen Produzierten. In die ursprüngliche Welt, die Natur, hat der Mensch Häuser und Geräte gestellt, Gegenstände des Alltags und Möbel. Der Tisch ist eine vom Erdboden angehobene Fläche. Er hat die Funktion, die Welt der Dinge aufzunehmen und anzuheben, anzuhalten und auszustellen. Diese Art Landschaft muss Saskia Wenzel hin und wieder genauso angezogen und inspiriert haben wie Hügel und Wald, Fluss und Himmel – Anlässe für ihre Landschaftsmalerei. Wie der Erdboden die Landschaft des Gewachsenen hervorbringt, so bringt der Mensch auf dem Tisch eine Landschaft der Dinge hervor, so dass Künstler neben dem Porträt und der Historienmalerei zwei unterschiedliche Perspektiven einnehmen können: den Fernblick nach außen auf das natürlich Bewegte und den Nahblick nach Innen ins künstlich eingerichtete Interieur. In der Landschaftsmalerei wird das bewegte Gewachsene dargestellt, in der Stillleben-Malerei kommt das in Ruhe Befindliche als künstlerisch geschaffene Ordnung auf der Fläche des Tisches dinglich zur Erscheinung.

 

Als erstes Stillleben-Bildnis gilt das 1504 entstandene Gemälde Rebhuhn und zwei Eisenhandschuhe von dem venezianischen Maler Jacopo de’Bar­bari. Der Zeitpunkt seiner Entstehung ist kein Zufall, sondern hat seine bemerkenswerte Bewandtnis darin, dass der Beginn des 16. Jahrhunderts die Zeit ist, in der im neuzeitlichen Europa der fest gefügte Tisch entsteht. Bis dahin dienen zwei Böcke mit aufgelegtem Brett als Tisch. Die Objekte im Gemälde des venezianischen Künstlers liegen noch nicht auf dem Tisch, sondern hängen an der Wand. Dem kommt gleich, dass der feste Tisch zwar erfunden, aber noch nicht im Bewusstsein der Menschen verankert war.

 

Kleine

Geschichte

des

Tisches

 

Was ist ein Tisch? Der Tisch trägt Gefäß, Brot und Fisch. Früchte. Das ist der Esstisch. Er trägt Utensilien wie Spiegel und Kamm. Das ist der Frisiertisch. Der Bürotisch trägt Schreibutensilien, der Ladentisch Verkaufsgüter und der Tresen Trinkgeschirr und Getränke. Der Operationstisch Menschen. All diese Tische haben einen langen Weg durch die Geschichte zurückgelegt. Ihr Ursprung ist – wie auch die Anfänge der Kunst – aus dem Kult hervorgegangen.

 

Die Geschichte des Tisches beginnt mit dem Opferstein, dem zentralen Abschnitt eines geweih­ten Bezirks, auf dem einst Menschen zum Zweck der Besänftigung der kosmischen Mächte geopfert wurden. Mit der Verschiebung des Opfers vom Menschen auf das Tier zerfällt der Opferstein in die beiden Elemente Thron und Altar. Der König, der einst getötet wurde, wird von nun an – gewaltsam – auf den Thron, den Opferstuhl, gesetzt. Der Altar ist der hohe Tisch oder der Opfertisch, der zur Auflage für das zu opfernde Tier wird.

 

Der Tisch ist aus Gesten des Opferns entstanden und bezeichnet einen Weg vom Erdboden auf ein erhöhtes Niveau. Er ist eine horizontale, durch ein Gestell vom Boden angehobene Ebene, an der man essen, arbeiten, Distanz halten und auf der man etwas ablegen kann. Griechisch heißt Tisch diskos, wie die runde Wurfscheibe, weil die Tische der Zeit rund sind. Beim Symposion liegen auf ihnen die Utensilien des Speisens. Nach griechischer und römischer Sitte lagern die frühen Christen während des gemeinsamen abendlichen Speisens um einen Tisch. Von Zeit zu Zeit segnen die Ältesten Brot und Wein und lesen aus der Bibel. Mit der Festigung des Kultes gewinnen sie an Macht, separieren sich von der Gemeinde und verlegen das abendliche Speisen auf den Sonntagmorgen und machen das abendliche Mahl zum Abendmahl. Aus der Gemeinsamkeit von Gemeinde und Ältesten entwickelt sich eine Opposition, die aus dem abendlichen Speisetisch den Altar macht, der zur kultischen Mitte, zum Zentrum der Christenheit wird.

 

Um 1500 hat das Bürgertum den fest gefügten Tisch entwickelt und ihn zur Mitte der Bürgerlichkeit gemacht. Der Tisch zieht in die Wohnstuben und in die Kontore der Kaufleute ein, an denen bilanziert und kalkuliert wird. Zuletzt indie Schule. Schultische und das Arbeiten an ihnen erfordern ein hohes Maß an Körperbeherrschung und Disziplin, denn Schreiben bedarf der widerstehenden Fläche des Tisches und der Kulturhaltung fixierten Sitzens, um Empfindungen und Gedanken mit der Hand in die Fläche zu übertragen. Schüler werden zwischen Tisch und Stuhl diszipliniert, bis sie sich auf das Verfolgen von Gedanken konzentrieren können, ohne sich von störenden Sinnesreizen ablenken zu lassen. Die geistigen Kräfte, die der Sitzende auf dem Stuhl erwirbt, kann er am Tisch direkt zur Wirkung bringen. Das Sitzen am Tisch ist Eu­ropas mächtigste Produktivkraft. Heute trägt ein herkömmlicher Tisch immer noch zahlreiche Dinge, aber er ist auch der moderne Acker unserer Gedanken, des senkrecht gestellten Monitors, auf den sich unsere Konzentration richtet und auf dem die Zeichen unseres kulturellen Universums erscheinen.

 

Stillleben

 

Stillleben waren eine Spezialität der Niederlande. Herausragende Artisten wie Jan Bruegel, Frans Snyders, Pieter Claesz, Willem Kalf schufen detailreiche Arrangements von Blumenstücken und Früchten, von Gefäßen und Waffen, von Wild, Fisch, Geschirr und technischen Geräten. Außerhalb der Niederlande waren Stillleben unbedeutend, doch selbst in den Niederlanden rangierten sie nach einer 1678 von Samuel van Hoogstraten verfassten Hierarchie an unterster Stelle der Kunstgattungen, da die Künstler keine Bildformen erfinden, sondern lediglich nach der Natur malen, imitieren würden.

 

Da Arrangement, Komposition und technische Fertigkeit der Künstler tatsächlich oft im Vordergrund standen, trugen Stillleben von Anbeginn an ein Element der Moderne in sich, eine erste Befreiung vom Gegenständlichen. Die Künstler bedienten sich zur Realisierung von Präzision und Illusion der Darstellung der Objekte im geometrisch konstruierten Raum – dem Ideal der Renaissance. Anders als die niederländischen Maler hat der französische Maler Jean-Babtiste Siméon Chardin (1699-1779) eine erfindungsreiche Stillleben-Malerei geschaffen und als Mittel bereits mehr das Malerische als Geometrie und Zeichnung gewählt. Von ihm sagte Denis Diderot, dass er nicht Farbe auftrage, sondern die eigentliche Substanz der Gegenstände. Als sich die Raum- und Dingwelt als Begrenzung erwies und Menschen begannen, unter der Oberfläche der Dinge nach dem Wesentlichen zu suchen und sich stärker auf das eigene Wesen einzulassen, sahen sich Maler gezwungen, geometrische Darstellungs­formen zu hinterfragen und unterschiedliche Abstraktionsweisen zu entwickeln, um zum freien Spiel von Farbe und Form zu gelangen.

 

Da Stillleben sich gut für die Loslösung vom Bildinhalt und für die abstrakte Darstellung eigneten, gewannen sie zum Ende des 19. Jahrhunderts an Bedeutung. Die Ordnung von Orangen und Äpfeln in Bildwerken von Paul Cézanne war der Beginn und ein erster Höhepunkt der modernen Malerei. Mit der Form seiner Werke bestimmte er seine Epoche und das Stillleben wurde zum anerkannten Genre – weiter aufgewertet durch Arbeiten von Henri Ma­tisse und Pablo Picasso, von George Braque, Juan Gris und Giorgio Morandi.

 

Mit der Abstraktion in Stillleben-Bildnissen entschwindet auch der Tisch demBlick oder er tritt als Fläche, in die die Elemente des Stilllebens eingeschrieben sind, aus dem Hintergrund heraus: bei Saskia Wenzel etwa in den Bildnissen Der Tisch, Die Markthalle und Krimi-Stillleben.

 

Landschaft

der

Dinge –

Saskia

Wenzels

Tischuniversum

 

In der Kulturgeschichte sind Sesshaftigkeit und die Entstehung von Haus, Stuhl und Tisch damit verbunden, dass Wege, Gesten und Blicke begrenzt werden, der Horizont aus dem Blick gerät und dass sich das, was außen umherschweifte, sei es der Mensch, sei es sein Blick, angehalten werden, um sich dem Innen zuzuwenden, um die Dinge oder sich selbst zu erforschen. Stillleben können anschaulicher als andere Gattungen der Kunst Innenräume und Innenleben – durch die Landschaft der Dinge hindurch – darstellen.

 

Landschaften der Dinge sind Teil des Werkes von Saskia Wenzel. Ihre Stillleben-Landschaften oder Welten auf dem Tisch sind Verdichtungen und Verschichtungen von Raumeindrücken und das behutsame Pendeln zwischen Gegenstand und Abstraktion. Mit Farbe formt sie eine innere Struktur der Objekte, legt damit aber auch ein Stück Seele des Menschen auf den Tisch.

 

Noch heute schöpfen Maler aus den in den Umbrüchen der Kunst entwickelten Abstraktionen und pflegen – zwischen den Epochen – die Malerei mit den Mitteln von Integration und Wiederholung, der künstlerischen Arbeit jenseits von Revolution und Avantgarde. Auch Saskia Wenzel nimmt Teil an dieser Kultivierung, die eine Pflege der Malerei ist. Was sie pflegt, ist das Offenhalten von Raum und Ding und die Be­handlung der Farbe als Bildgegenstand zum Schaffen neuartiger Formen. Installation, Performance, Readymade und Webkunst scheinen zeitgemäßer als die Malerei. Sich heute für sie zu entscheiden bedeutet, sich dem verbreiteten Postulat ihrer Unzeitgemäßheit entgegenzustellen. Die Kultivierung der Malerei verfügt über keine Durchbruchstendenzen, eher erscheint sie als innere Sammlung, wie ein dem Säen und Ernten ver­wandtes Austeilen und Einsammeln. Diese Malerei behauptet sich als kreativer Akt einer Individualität. Sie behauptet sich als Lebensentwurf und Alltagstheorie und formal als zweidimensionaler Farb- und Symbolraum einer existenziellen Gefühlswelt.

 

In den Stillleben von Saskia Wenzel ist das Universum des Tisches eine Wiederkehr von Zeichen und Geschichten, ein Kreislauf von Bedeutungen, der in Farbflüsse und Farberosionen, in alle möglichen Farbbewegungen und Farbversickerungen übersetzt wird. Farbflüssigkeit und Farbe, Ablagerungen, Aufbrüche und Farbstreuungen gehören zu ihrer Farbdynamik. Durch solches An- und Nebeneinandersetzen, solches Überlagern und Durchmischen erzeugt sie in ihren Gouachen eine hohe Dichte und Intensität von Räumen, Dingen und Zeichen. Die Räume sind verschichtet und dicht, gestaffelt und konzentriert, durchdrungen und überlappt und lenken immer wieder den Blick von der Oberfläche einer Farbgestalt ausgehend in eine unbestimmte Tiefe und geben überraschende Durchblicke frei, die ebenso auf die Weite des Universums wie auf die Monumentalität eines Atoms oder einer lebenden Zelle, oder die Tiefe der Seele verweisen können.

 

So wie wir seit Immanuel Kant wissen, dass die Dinge nicht so sind, wie wir sie wahrnehmen, sondern uns nur so erscheinen, gibt auch die Malerin die Dinge nicht geometrisch konstruiert, nicht konkret oder detailreich wie im klassischen Stillleben wieder, sondern als ihre Erscheinungen. Sie sind transparent oder angedeutet, verzerrt oder vertuscht, in unterschiedlicher Weise abstrahiert. Es ist gerade ihre bestimmte Unbestimmtheit, durch die die Dinge Elemente ihres Wesens freigeben.

 

Das trifft auch auf die menschliche Gestalt und das Gesicht des Menschen zu, die in den Stillleben von Saskia Wenzel zur Ordnung des Tisches gehören. Die Arbeit Der Tisch nimmt schon im Titel auf den Tisch Bezug, Die Markthalle über den Bildinhalt und Krimi-Stillleben über den kulturhistorischen Kontext.

 

In der Gouache Der Tisch ist der Tisch sichtbar und erscheint als rahmende Fläche, die die einzelnen Elemente zu einer Einheit zusammenfasst. Die Schönheit der Arbeit liegt in dieser Einheit und der Einfachheit der Elemente, die das Bild aufbauen, unterstützt durch die sanften Farben, die Mittelstellung der hellen Form und seine Kontrastierung mit den dunklen Flächen, sowie im Flüchtigen und Rätselhaften, das an diesem Tisch gegenwärtig ist.

 

In Die Markthalle ist der Tisch Bildgegenstand. Eine Ansammlung von Tischen präsentiert als Ausschnitt der Warenwelt verschiedene Güter. Auch ohne dass wir die Waren genau erkennen, begreifen wir, dass es sich um grundlegende Dinge des Lebens handelt – um Mittel zum Leben. Hier ist es nicht der Tisch, an dem der Mensch speist, sondern der Tisch, auf dem das zu Essende ausgestellt ist, damit es erworben, anderen Tische zugeführt und verzehrt wird.

 

In der Gouache Krimi-Stillleben liegen abgebildet ein vermutlich getöteter König und der Kopf eines Hundes, des ersten domestizierten Begleiters des Menschen auf dem Tisch. Kulturhistorisch gedeutet bilden sie das Symbol eines gesellschaftlichen Zustandes. Im Rahmen der Kulturgeschichte des Tisches liegt die spirituelle Aufgabe des Königs in der Rolle des Opfers, die jedoch nicht darin besteht, dass er sterben muss, sondern darin, dass er unbeweglich auf dem Thron verharrt. In seiner physischen Begrenzung soll er sich auf das eigene Innen konzentrieren, vergeistigen und den Kontakt zu den kosmischen Mächten halten. Der Titel der Arbeit, in dem die Malerin bekannt gibt, dass es sich um ein Stillleben handelt, macht sichtbar, was sonst nicht erkennbar wäre: Auf dem Tisch liegen die Elemente des Opfersteins – der getötete König, sein animalischer Begleiter und die Zeichen einer regelwidrigen Tötung, die uns zeigen, dass etwas nicht in Ordnung ist, dass es sich um die Ordnung eines Verbrechens handelt. Fruchtbarkeit und Spiritualität des Königs sind verbraucht und ein schwarzer Gegenspieler befindet sich an seiner Stelle – der bürgerliche Mensch, der sich in ein Bild der modernen, zerstückelten Gesellschaft einfügt, die sich zwar globalisiert, aber doch das Gesamte nicht meistert und gravierende Probleme bisher nicht gelöst hat.

 

Immer wenn Saskia Wenzel – wie auch in diesen drei Arbeiten – Dinge auflistet, ansammelt, auftürmt, Mengen und Elemente von Mengen bildet und Gegenstände unabhängig vom perspektivischen Raum annähernd gleichgroß wiedergibt, ist die Mathematisierung im Spiel mit dem Tisch als Metaebene, auf der sich bestimmte Elemente versammeln lassen. Solche Sammlungen von Elementen können Frisierutensilien, Kleidungsstücke oder Früchte sein, wie sie in Die kleinen Dinge I, Die kleinen Dinge II und Sechs Früchte angedeutet sind. Die kleine Dinge stellen eine ausgezeichnete ästhetische Ordnung von Hell-Dunkel dar und eine Analogie auf das Sein, denn das Mathematische deutet auch auf das Kosmische und Heilige – das ist das Heile und Ganze – hin.

 

Man kann sagen, dass Stillleben-Tischleben das Heilige naturgemäß aufweisen mit ihren typischen Elementen Früchte und Brot, Wein und Fisch. Diese Elemente finden wir auch in den Stillleben-Arbeiten von Saskia Wenzel.

 

Im Abendmahl bedeuten Brot und Wein den Leib und das Blut Christi, der Fisch ist Christussymbol. In anderen Kontexten dienen Brot und Fisch, Früchte und andere Nahrungsmittel als Symbolisierungsfeld von Frucht­barkeit und Sexualität – die ve­getabile und die animalische Weise von Fortpflanzung und Arterhaltung. Das Fruchtige, Schwimmende und Reife mit seiner Spannung und seinem Klaffen wie in Blaue Bohne mit den sichtbaren Samenkörnern, das auftaucht wie aus einer Farbschicht freigelegt, ist so etwas wie eine immer wiederkehrende Aufmerk­samkeit für das Lebendige und Erotische – die Saskia Wenzel in ihren Stillleben zur Wiederbelebung der angehaltenen Dinge schärft und nutzt.

 

Wie der Tisch den Menschen zum Anhalten zwingt, so kommen die Dinge zur Ruhe. Die angehaltenen Dinge der Tischleben lassen sich als Produktivität des Menschen deuten, ihre Ruhe ist die Ordnung, die sie auf dem Tisch herstellen. Präsentiert werden landwirtschaftliche, handwerkliche und industrielle Produkte, die in ihrem Angehaltensein eine nach innen gerichtete Tiefe bilden und eine narrative Dimension eröffnen. Etwa wie in dem Bildnis, auf dem ein Porträt sowie eine halbe Birne, eine Vase und ein Gefäß von gleicher Größe auf zwei Tischen versammelt sind. Das Bildnis könnte die Erzählung einer Beziehung sein. Suggeriert wird, dass wir uns im symbolischen Raum der menschlichen Seele befinden. Auch das von der Birne und der Vase ausgehende Licht ist mit der Seele kompatibel.

 

Verfolgen wir den Gedanken weiter, dass es sich bei den Landschaften der Dinge auf der Tischebene um Landschaften der Seele handelt, so können wir den unsichtbaren Tischen in den Arbeiten von Saskia Wenzel auch die Rolle einer Lichtquelle zuschreiben. Einmal, indem sie Ordnung stiftend erleuchtet, zum anderen, indem sie als Lichtquelle am Bildgrund das Bild von Innen her zu erleuchten scheint. Dieses Licht vom Innern des Bildes wird durch die Farben gestreut und gefiltert. Wie im Stillleben O.T. von 1994, wo sich im Vordergrund eine Schote befindet, die als transparente Lichtgestalt gerade noch erkennbar ist. Auch transparente Brote und Orangenscheiben, die fast nur noch Licht und Blendung sind, repräsentieren die Richtung nach Innen. Diesen Innensog finden wir auch in Stillleben, die Farbschichten und Brüche von Farbschichten zeigen, aus denen – wie in Sechs Früchte – einige der Früchte aus dem Innern, nämlich unter der aufgerissenen Farbschicht sichtbar werden. Der Eindruck der Innenleuchtung entsteht methodisch in der Kombination von Schichtung und Lichtung. Dabei geht die Malerin so vor, dass sie Lasuren – etwa in Gestalt einer Zitronenscheibe – so auf die Farbschicht malt, dass Verhältnisse von Verschwinden und Wiederauftauchen, von Aufleuchten und Ausstreuen entstehen und dabei etwas Flüchtiges und Unfixierbares erzeugen. Das von Innen her Scheinende und doch Unfassbare ist das, was uns tief berührt, ist das Rätselhafte und ein Hinweis auf die Flüchtigkeit der Seele. Zugleich ein Hinweis auf die Landschaft der Seele unter der Landschaft der Dinge auf dem überraschenden und bedeutungsschweren Gebilde des Tisches.


 

© Hajo Eickhoff 2008





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