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aus: Mideele Schade, Malerei, Berlin 2004



Mantel der Erde

Landschaften von Mideele Schade

 

 

Malerei gelingt, wenn sie Seharbeit mehr als Handwerk ist. Wie in der Landschaftsmalerei von Mideele Schade. Ihr Sehen ist Auswählen und ihr Auswählen Absehen. Das Absehen von Einzelheiten, Beliebigkeiten, Zufälligem.


Absehen ist deshalb Absicht. Das, was nach dem Absehen bleibt: Intention und Freiheit, Wollen und Zweck.


Landschaft ist ein Mantel, der als Lebensraum des Menschen um die Erde gelegt ist. Mit ihren floralen, klimatischen und geografischen Strukturen sind Landschaften komplex: reich an Details, verwoben und verwachsen, unablässig in Bewegung. Absicht bedeutet Bewältigung. Bewältigung dieser Komplexität. Beherrschung des Wahrgenommenen durch Freiheit und ein ordnendes Sehen. Die Künstlerin begibt sich mit Staffelei und Absicht in die Landschaft. Hier sieht sie ab: erst von der Stadt mit ihrer Unruhe, Linearität und Gleichförmigkeit, aber auch ihren unzähligen Zerstreuungsmöglichkeiten, danach von der Landschaft, indem sie wahrnimmt, auswählt und darstellt. Sie sieht von Dinglichem wie Baum oder Strauch ab – es gibt nur Strich und Farbe.


Ihre absichtliche Malerei ist Suche, Konzentration und Ordnung, ist Schönheit und Erkenntnis – Reduktion auf das Wesentliche. Solche Reduktion erfordert eine ideelle Gesamtschau, Präzision und die Balance von Auge und Hand und damit ein hohes Maß an Disziplin. Sie lässt das den Blick verstellende Detail weg, reduziert die Vielheit, ordnet komplexe Strukturen neu und gestaltet sie zu einem Ganzen. Im Absehen erhält die Landschaft eine Absicht. Formal ist die Absicht von Mideele Schade das Schöne, das Vollkommene und die Einheit; inhaltlich der Wille, Naturkräfte anschaulich zu machen.

 

Auch die Mittel, die sie in einem Bild einsetzt, sind reduziert: eine Strichart und ein geringer Umfang an Farben. Mit kurzen, ruppig gesetzten Strichen baut sie ihre Landschaften auf und schafft auf dem Weg vom Dunkel zum Hell Rhythmen und Formen von Farbe.


Die Farbigkeit und eine charakteristische Strichstruktur bilden zentrale Elemente. Die Farbigkeit ist ein Wechselspiel von Farblichtern und Farbverschattungen. Ihre Expressivität entsteht durch dieses Wechselspiel und durch das schroffe Nebeneinander von Farbfeldern, die durch keine durchgehende Konturlinie gebunden sind. Sie sind lediglich durch konturierende Lücken getrennt, die der Auftrag lässt und durch die der dunkle Malgrund durchscheint. Die Lücken sind Öffnungen zum Grund – zu Motiv, Wesen und Abgrund. Dunkel und rätselhaft, geheimnisvoll und schön sind sie das, was den Menschen aus dem Alltag heraustreten und innehalten lässt. Die Farbgebung ist lyrisch und die Landschaften erscheinen robust, wild und archaisch. Dennoch strahlen sie eine große Ruhe aus – dahinfließende, ästhetische Farbströme – und erwecken eine Stimmung von Fülle und Geborgenheit, die nur das Intakte, Geistige und Schöne hervorruft, die der Mensch selbst inmitten der wirklichen Landschaft nur gelegentlich spürt.


Die Form ist Rhythmus, Bewegtheit und harmonischer Zusammenklang der Elemente Strich und Farbfeld. Rhythmisch ist alles aus dem Pinselstrich heraus gestaltet – oft parallel aneinander und übereinander gesetzt. Die Landschaften sind flächig, haben aber auch Weite und Tiefe. Die Räumlichkeit ist aus den Bildern herausgenommen, um sie mit Kräften aufzuladen, denen die Malerin nachspürt. Die Parallelität der aufgetragenen kurzen Striche verleiht den Bildern eine ungewöhnliche Einheit. Dadurch erscheint eine Landschaft trotz Bewegtheit und Expressivität wie festgehalten. Nicht, weil Malerei zwangsläufig ein Moment der Fixierung ist, sondern weil Mideele Schade Landschaft in ihrer inneren Bewegtheit darstellt, in der Bewegtheit ihres Wesens, denn das Sein der Welt und die Existenz des Menschen sind ihrer Eigenart nach Bewegung und Veränderung. Der Eindruck von Ruhe und Schönheit der Bilder entsteht durch Einfachheit, gegliederte Bewegtheit sowie durch Rhythmen gleicher Richtung, Frequenz und Amplitude.

 

Mideele Schade erfindet ihre Landschaften. Sie stellt Naturkräfte wie Berg, Himmel und Wolken, Vegetation, Wasser und Windkräfte dar, lässt aber zugleich Kulturkräfte wirken: bebaute Äcker, Wege und Straßen, Gärten, angelegte Felder. Der Mensch kommt in den Bildern nicht vor. Er ist nur mittelbar anwesend – als Produzent von Landschaft.


Ihre Malerei erscheint wie ein Blick von einem fernen Standpunkt aus. Mit dem Blick aus der Distanz und mit Genauigkeit, mit Unmittelbarkeit und Erfindungsreichtum gelingt es ihr, Landschaft in einen Uranfang zurückzuversetzen und sie als die Kraft, die einigende Urkraft darzustellen. Die Absicht ihres Schaffens ist das Ursprüngliche, das Heraufscheinen der Natur unter der Kultur – so, wie die Farben geschichtet sind und das Dunkle transparent im Hellen aufgehoben ist.


Es ist die Differenz von Landschaft und Natur, von Naturkraft und Kulturvermögen, die in den Werken von Mideele Schade überrascht, in Staunen versetzt, mit dem Alltag aussöhnt und anspornt, nach der eigenen Herkunft und Natur zu fragen. In dieser Differenz durchdringt ihre Malerei den Vordergrund der Landschaft und macht die dahinter und darunter liegende Natur sichtbar, das unabhängig vom Menschen aus dem All Hervorgebrachte. So ist jede ihrer Landschaften eine Monade: eine stimmige, gedanklich geordnete und absichtliche, vor allem aber schöne Einheit – Monas – des Weltganzen als Ausschnitt.




© Hajo Eickhoff 2004





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